Wie beleidige ich die Intelligenz meiner Leser am effektivsten? Mit Gendersternchen

Dass die Verblödung eines Tages ausgerechnet von Universitäten ausgehen könnte, hätte man früher auch nicht erwartet. Das dachte ich beim Lesen dieses Artikels der NZZ: An der Wiener Universität wird man in Zukunft nicht mehr von „Studentinnen und Studenten“ reden. Stattdessen sind nun Pausen beim Sprechen gefordert. Damit man den Genderstern heraushört.

In Lübeck ist man nicht ganz so weit gegangen. Dort hat man mit dem Jahreswechsel lediglich im „Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache“ beschlossen, ab sofort den Gender:Doppelpunkt zu nutzen, um so „alle Menschen anzusprechen – Frauen und Männer und jene, die sich nicht als Mann oder Frau beschreiben“. Eigentlich erreicht man so das genaue Gegenteil, doch dazu später.

Ich hatte in einem früheren Artikel beschrieben, warum Gendersternchen pardoxerweise ausgerechnet frauenfeindlich sind. Kurzform meiner Begründung: Man gendert nur grammatisch männliche Substantive, indem man ihnen weibliche Endungen mit anhängt. Denn angeblich können Frauen sonst nicht erkennen, dass auch sie mit angesprochen sind. Seltsamerweise macht man das aber umgekehrt nie bei grammatisch weiblichen Substantiven wie „die Person“, „die Fachkraft oder „die Koryphäe“. Müsste man da nicht auch männliche Endungen mit anhängen? Ansonsten können Männer doch möglicherweise nicht erkennen, dass sie auch mit gemeint sind. Aber offensichtlich nehmen die Verfechter der Sternchenschreibweise an, dass Männer schon schlau genug sind, das selbst herauszufinden. Und genau das ist frauenfeindlich: Man unterstellt nur Frauen, zu dumm für eine so einfache Erkenntnis zu sein.

Mir ist aber erst kürzlich aufgefallen, was mich unbewusst immer am meisten an dieser gegenderten Schreibweise gestört hat:

Nicht nur Frauen werden damit als dumm eingestuft, sondern auch jeder Leser solcher Texte.

Und um das gleich noch mit zu klären: Mit „Leser“ sind selbstverständlich auch Leserinnen gemeint. Das Wort „Leser“ beschreibt einen Menschen, der im angesprochenen Zusammenhang die Eigenschaft hat, etwas zu lesen. Ob dieser Mensch nebenbei auch noch andere Eigenschaften hat, ob er zum Beispiel dick oder dünn, blond oder haarlos, männlich oder weiblich, alt oder jung ist – all das ist völlig uninteressant, es spielt hier keine Rolle. Man muss nicht jedes Mal noch mit erklären, dass bei der erwähnten Personengruppe auch noch alle möglichen Untergruppen dabei sein können. Dass zum Beispiel auch immer ca. 50% weibliche Menschen mit darunter sein können, ist für jeden halbwegs intelligenten Menschen klar, weil das in einer gleichberechtigten Gesellschaft einfach logisch ist.

Ich zeige einmal an einem Beispieltext, was im Leser vorgehen könnte, wenn er Texte mit Gendersternchen oder Varianten davon vorgesetzt bekommt. So etwas in der Art musste ich kürzlich in einer Diskussion lesen:

Unter allen Verkehrsteilnehmer*innen sind Fußgänger*innen die schwächsten – an ihnen sollte sich die Rücksicht der anderen orientieren, auch die der Radfahrer*innen natürlich.

Die vermittelte Information ist hier folgende:

„Unter allen Verkehrsteilnehmern … ähm, bei der Gelegenheit, lieber Leser: möglicherweise ist Dir gar nicht bekannt, dass unter Verkehrsteilnehmern auch Frauen sind. Deshalb erkläre ich es Dir hier einmal ganz genau: Unter Verkehrsteilnehmern sind auch Frauen.“

‚Ja,‘ denkt sich der Leser an der Stelle. ‚Weiß ich. Bin ja nicht blöd. Das war vielleicht vor hundert Jahren noch erwähnenswert, aber heute dürften etwa die Hälfte aller Verkehrsteilnehmer Frauen sein. War jetzt völlig überflüssig, das extra mit zu erwähnen. Worum geht es denn eigentlich?‘

„ … sind Fußgänger die … ach , übrigens: Lieber Leser, das mit den Verkehrsteilnehmerinnen habe ich zwar bereits erklärt, aber ich vermute, dass Dir nicht klar ist, dass dies auch bei Fußgängern der Fall ist. Auch darunter befinden sich Frauen …

‚Ja, verdammt! Hält der mich für doof? Selbstverständlich sind da auch Frauen dabei. Können wir vielleicht einfach beim Thema bleiben oder überhaupt endlich einmal zum Thema kommen?‘

„die sind die schwächsten – an ihnen sollte sich die Rücksicht der anderen orientieren, auch die der Radfahrer … fällt mir gerade ein: Ist Dir, lieber Leser, eigentlich bekannt, dass auch bei Radfahrern Frauen mit dabei sind? Deshalb erkläre ich es Dir hier noch einmal im Detail: Viele Radfahrer sind auch Frauen!“

Auf das Prinzip läuft es hinaus. Aller paar Sätze bekommt der Leser vermittelt: Lieber Leser, ich halte Dich für … nett formuliert: etwas dumm, Du hast sicher auch ein schlechtes Kurzzeitgedächtnis, deshalb erkläre ich Dir ein und dasselbe Thema immer wieder nochmal von vorn. Auch wenn ich dafür jedes Mal vom Thema ablenke und die Lesbarkeit meines eigenen Text verderbe. Das ist es mir wert.

Natürlich wird man als Leser nicht bei jedem Binnen-I oder Genderstern solche ausufernden Überlegungen anstellen. Aber unbewusst passiert das. Zumindest geht es mir so.

Doch was wird passieren, wenn diese Schreibweise sich trotzdem durchsetzt? Dann gewöhnt man sich mit Sicherheit daran und blendet diese überflüssigen Endungen schnell aus. Es sind ja redundante Informationen, die keine wirkliche Zusatzinformation enthalten. Unser Gehirn ist ziemlich gut darin, Redundanzen zu erkenen und auszufiltern. Man überliest diese Wortanhängsel dann einfach und korrigiert die Texte automatisch wieder ins Verständliche. Wahrscheinlich nimmt man es irgendwann gar nicht mehr wahr.

Irgendwo sitzen dann Autoren, die überflüssige Zusatzendungen mit in ihre Texte schreiben und das schon ganz automatisch tun. Irgendwo anders sind Leser, die genau diese Stellen überspringen. Auch schon ganz automatisch.

Ja, das klingt sinnvoll.


Nachtrag: In Lübeck ist man der Meinung, mit dem Gender:Doppelpunkt fortan „alle Menschen anzusprechen – Frauen und Männer und jene, die sich nicht als Mann oder Frau beschreiben“. Von der Wiener Universität kam die Erklärung, „die binäre Bezeichnung werde der Realität der geschlechtlichen Vielfalt nicht gerecht“. Aber stimmt das? Erreicht man so nicht eher das genaue Gegenteil? Wenn man davon ausgeht, es gäbe mehr als zwei Geschlechter (*), dann wäre mit dem generischen Maskulinum jedes Geschlecht abgedeckt, selbst wenn man es heute noch gar nicht entdeckt hat. Ein Wort wie z.B. „Teilnehmer“ würde alle Menschen bezeichnen, die die Eigenschaft haben, an etwas teilzunehmen. Ob sie männlich oder weiblich sind oder sich als „divers“ im Geburtenregister eingetragen haben, spielt dabei keine Rolle. Wenn man aber „Teilnehmer*innen“ anspricht, fallen alle durchs Raster, die sich nicht als Mann oder Frau empfinden.


(* Nein, gibt es nicht. „Divers“ ist nur eine zusätzliche Option, sich den einzigen beiden bekannten Geschlechtern zuzuordnen. Es ist auch keine dritte Option, sondern die vierte. Bei der bisherigen dritten „keine Angabe“ ist kein Mensch auf die Idee gekommen, das sei ein drittes Geschlecht.)

15 Comments

  1. Du schreibst: » Wenn man aber „Teilnehmer*innen“ anspricht, fallen alle durchs Raster, die sich nicht als Mann oder Frau empfinden.«

    Das stimmt so nicht ganz: Durch den Stern sollen ja ALLE mitgemeint sein.

    Manko: Es werden dadurch diejenigen ausgeschlossen, die mit diesem Stern nicht mitgemeint sein wollen. Es müsste also korrekt heißen »Liebe Teilnehmer*innen und Nicht-durch-›Teilnehmer*innen‹-Angesprochene«.

  2. Wenn der Stern die Funktion hat, alle anzusprechen, könnte man es auch gleich auf Teilnehmer* reduzieren. Aber wie bereits erwähnt: Das Wort Teilnehmer gewährt diese Funktion auch schon.

  3. Früher bezeichnete man eine Lücke im gesprochen Wort als Sprachfehler. Heute ist sie Ausfluß der Genderforschung einer österreicher Uni. Nicht nur das Schriftbild wird verhunzt, auch die Aussprache will man entsprechend vorschreiben. Diese
    Klima-Quatschtüte
    muß allerdings noch etwas üben.
    Siehe auch hier.

  4. Reden mit diesem ausgesprochenen Genderstern kann man auch in Reden bei Juso-Versammlungen oder der Grünen Jugend bewundern. Die haben komplett ein Ding an der Waffel.

  5. Ich spiele jetzt mal den Schlaumeier; müßte es nicht heißen :
    Der unausgesprochenen Genderstern !?

  6. Wie geht es weiter mit den „ …innen“ ?

    Frank schrieb:
    Reden mit diesem ausgesprochenen Genderstern kann man auch in Reden bei Juso-Versammlungen oder der Grünen Jugend bewundern.

    Michael_DD : … müßte es nicht heißen :
    Der unausgesprochenen Genderstern !?

    Obwohl – es wäre doch reizvoll, diese Leute dazu zu bringen, es tatsächlich zu tun.
    Blicken wir mal zurück. Zu Beginn der Gleichberechtigung war es selbstverständlich, daß, wenn man von „Liebe Bürger“ sprach oder „Liebe Leser“ schrieb, auch der weibliche Anteil derselben gemeint war. Das genügte einigen nicht – man wollte in Wort und Schrift präsent sein. Und so wurde daraus „Liebe Bürgerinnen und Bürger“ und „Liebe Leserinnen und Leser“; etwas zeitraubend und umständlich – aber korrekt. Das genügte aber einigen wiederum nicht, man erfand das Binnen-I; also „BürgerInnen“ und „LeserInnen“. Trägt das jemand vor, hört man „Bürgerinnen“ und „Leserinnen“, der Unsinn offenbart sich akustisch – der männliche Anteil fällt unter den Tisch. Mir ist allerdings nicht bekannt, daß sich ein Mann darüber mal beschwert hat. Um den Unsinn mit dem Binnen-I nochmal zu verschlimmbessern, erfand man den Gender-Stern. Das Binnen- I schrumpfte wieder zum i, dafür wurde ihm der Gender-Stern vorangestellt, also „Bürger*innen“ und „Leser*innen“ Um den Genderstern auditiv zu vermitteln, sollte beim Sprechen eine Pause eingelegt werden. Das klingt bescheuert, ist es aber auch.
    Ich verlange von den Gender-Stern-Verfechtern mehr Mut zur eigenen Tat : Sprecht ihn einfach aus !!
    Also „Bürgersterninnen“ und „Lesersterninnen“.
    Da sehe ich aber ein neues Problem : Den weiblichen Anteil mit einem maskulinem Substantiv anzukündigen ist ja wohl sexistisch. Als Ausweg bietet sich die Sternschnuppe an. Druckvorlagen findet man hier.Sprechen wir das mal aus: „Bürgersternschnuppeinnen“ und „Lesersternschnuppeinnen“. Das klingt bescheuert. Man könnte es etwas verbessern, indem man ein e wegläßt: „Bürgersternschnuppinnen“ und „Lesersternschnuppinnen“. Na ich weiß nicht, ob das den „ …schnuppinnen“ gefällt. Als Ausweg bietet sich an, ein anderes Zeichen zu finden – kurz und knapp und weiblich. Auf meinem Keyboard find ich auf die Schnelle nur die Klammer.
    Na ich weiß nicht, ob das den „ …klammerinnen“ gefällt.

    Was haben eigentlich der deutsche Rechtschreiberat und die Leute vom DUDEN dazu zu sagen?

  7. Man, äh … Man*In könnte auch geschlechtsneutral „das Gendersönnchen“ dazu sagen. Also „liebe Lesersönncheninnen“. Aber da steckt auch wieder Diskriminierungspotential drin wegen der Verniedlichungsform.

    Die Beschreibung, es wären nur fünf im Kreis angeordnete Deppenapostrophe, wäre noch eine Variante, aber da redet man sich ja den Mund fusselig. Und ich vermute: Die Begeisterung der Angesprochenen dürfte sich in Grenzen halten.

  8. Was mich fasziniert: Obschon sich der überwiegende Teil unserer Gesellschaft gegen das Deppen-* wehrt, wird es durchgedrückt! Wie ist das möglich? Kaum jemand nimmt Gender Studies ernst. Aber die Typ*innen haben Erfolg und entern Behörde um Behörde. Es ist gespenstisch.

  9. Also ich assoziiere beim Satz „Du kannst die Tür noch nicht zuschließen, zwei Radfahrer kommen noch.“ zwei Männer. Ihr habt automatisch Frauen (bzw. mindestens eine) vorm inneren Auge?

    Auch der Satz „Die Manager aßen gemeinsam im Restaurant.“ erzeugt bei mir kein 50/50-Bild, sondern ein eher der Realität entsprechendes, nämlich, dass es tatsächlich nur Männer sind.

    Dass Wirklichkeit durch Sprache erzeugt wird, merkt man am am Wörtchen geil: Die damit erzeugte Wirklichkeit war vor 60 Jahren eine andere als heute.

    Warum also Sprache nicht bewusst nutzen? Meinen Kindern gebe ich ja auch mit, dass man Scheiße nicht sagt – und ganz ehrlich, wenn jemand neben mir auf diese Art und Weise redet, landet er (oder sie :-D) durchaus in einer Schublade. (Das ist jetzt alles stark verkürzt und vereinfacht.)
    „Zu Beginn der Gleichberechtigung war es selbstverständlich, daß, wenn man von „Liebe Bürger“ sprach oder „Liebe Leser“ schrieb, auch der weibliche Anteil derselben gemeint war. “ — das glaube ich nicht. Ich denke viel eher, dass der weibliche Anteil tatsächlich als nicht gleichberechtigte Menschen angesehen wurde, als nicht explizit erwähnenswert. Sie durften bis Mitte der 50er ohne Erlaubnis ihres Mannes nicht mal arbeiten gehen.

    Ich betrachte solche 70erJahrehumorigen Wortschöpfungen um Männinnen und Grüninnen und was man nicht alles so liest meistens als ironiegetarnte Pfründeverteidigung. War ja nicht alles schlecht, die letzten 2000 Jahre, zumindest für Männer.

    Ich neige allerdings selbst nicht zum übermäßigen Gendern, es stört weniger den Lesefluss, vielmehr den Schreibfluss, finde ich. Für gutaussehende, flockig aus der Tastatur rinnende Neuschöpfungen wäre ich aber offen.

  10. Also ich assoziiere beim Satz „Du kannst die Tür noch nicht zuschließen, zwei Radfahrer*innen kommen noch.“ zwei Frauen.
    Auch der Satz „Die Manager*innen aßen gemeinsam im Restaurant.“ erzeugt bei mir kein 50/50-Bild, sondern ein eher, dass es nur Frauen sind.

  11. @ Peter Macheli: Für selbstverständlich wirkende/klingende oder sonst irgendwie gutaussehende Neuschöpfungen bin ich auch offen. Sprache entwickelt sich ja weiter, darin besteht kein Problem. Wenn also der Volksmund selbst oder einzelne Personen bessere Wörter für die Beschreibung der Geschlechtsverteilung erfinden – ja gern! Ich habe nur was gegen diese Krampf-Methoden, die völlig sperrige Scheinlösungen hervorbringen und mit denen ein paar … ich sag mal Wohlmeinende die Mehrheit erziehen wollen.

    Bei „zwei Radfahrer kommen noch“ würde ich nicht ausschließlich Männer erwarten, weil für Menschen auf Fahrrädern zu einem großen Teil auch Frauen sind. Bei den Managern hast Du allerdings recht, da würde ich tatsächlich nicht an Frauen denken.

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