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Dresdner Straßenbahnen fahren ab Januar klimaneutral – ohne dass sich technisch etwas ändern wird

Laut Pressemitteilung der DVB [1] fahren die Dresdner Straßenbahnen ab 2021 mit Ökostrom der DREWAG. Das klingt nach einer großen technischen Herausforderung, denn die Straßenbahnen gehören mit zu den größten Stromverbrauchern in der Stadt:

Mit einem Jahresverbrauch von 55,3 Gigawattstunden gehören die DVB zu den größten Stromverbrauchern in Dresden. Allein 49,1 Gigawattstunden benötigt der Straßenbahnbetrieb. Die Kosten dafür belaufen sich auf gut sechs Millionen Euro pro Jahr. Durch die Umstellung auf Ökostrom steigen sie um etwa 40.000 Euro.

[1]

55,3 GWh/a entsprechen einer ständig benötigten Durchschnittsleistung von 6,3 MW. Diese Leistung wird tagsüber höher sein und nachts geringer, denn nachts fahren weniger Bahnen. Man könnte sich fragen, woher diese hohe Leistung aus Ökostromquellen in Dresden bereitgestellt werden kann. Die benötigten Daten findet man bei der DREWAG, teilweise muss man ein wenig damit rechnen.

Wer das langweilig findet, kann gleich zum Abschnitt „Zertifikatehandel“ vorspringen.

Die Drewag betreibt neben ihren – überwiegend mit Erdgas betriebenen – Heizkraftwerken [2] auch einige Ökostromquellen [3]. Mit den Windenergieanlagen würde man rein rechnerisch auf die benötigte Leistung kommen. Allerdings müssen Straßenbahnen auch bei Windstille fahren. Haben wir geeignete Speicher? Theoretisch hätten wir einen mit dem Pumpspeicherwerk (PSW) Niederwartha. Dessen Werte klingen gut: 40 WM Leistung, die für ca. 10 Stunden verfügbar wären. Aber die Anlage ist dringend sanierungsbedürftig, was wiederum aus Betreibersicht unökonomisch ist [4]. Außerdem benötigt das PSW gegenwärtig eine Vorlaufzeit von einigen Stunden. Das funktioniert also nicht. Doch haben wir nicht auch einen Akku-Speicher in Reick? Dieser war 2015, zur Zeit seiner Einweihung, sogar der größte seiner Art in ganz Sachsen [5] und einer der größten in Deutschland. Mit seinen 2 MW kommt er leider nicht auf die benötigte Leistung für unsere Straßenbahnen. Er könnte bei maximaler Leistung auch nur etwas länger als 1h Strom liefern, außerdem ist er sowieso für andere Aufgaben gedacht.

Außerdem müsste gewährleistet sein, dass diese Speicher immer nur mit Ökostrom geladen werden, damit es auch nachher noch welcher ist.

Die Photovoltaik-Anlagen der DREWAG fallen als Stromquelle für Straßenbahnen aus, denn die Bahnen müssen auch nachts fahren. Ihre Leistung wäre auch zu gering. Wasserkraft kann durchgängig Strom liefern, dafür haben wir hier aber nur wenige Möglichkeiten. Das angegebene Wasserkraftwerk (WKW) Dorfhain hat eine Leistung von nur 0,65 MW. Biogas wäre eine weitere Quelle, die fast ohne Pausen verfügbar ist. Die Biogasanlage Klotzsche hat eine elektrische Leistung von 0,83 MW. Das reicht alles nicht.

Zertifikatehandel

Aber diese Quellen wären ohnehin nicht nutzbar. In Deutschland gilt: Wenn elektrische Energie aus „erneuerbaren“ Quellen mit ins Stromnetz eingespeist wird (was außer bei privaten Kleinanlagen fast immer der Fall ist), kann sie nicht noch einmal als reiner Ökostrom verkauft werden. Das hat auch eine gewisse Logik, denn diese Energie ist dann Teil des Strommixes. Wenig Logik hat im Gegensatz dazu der Handel mit Ökostrom, was ich früher schon einmal ausführlicher beschrieben hatte.

Reiner Ökostrom kann aus innerdeutschen Quellen nicht bezogen werden, bestenfalls aus nichtvernetzten Insellösungen (was ein Widerspruch in sich ist). Ökostromhändler haben deshalb fast immer einen Partner im Ausland. Typischerweise sind das österreichische Betreiber von Wasserkraftwerken (WKW). Einige dieser WKW stehen zwar in Deutschland, sind aber in österreichischem Besitz und stehen in Grenznähe. Manche WKW sind sogar in Schweden oder auch in Norwegen. Wie soll dieser Strom jemals bis nach Dresden gelangen? Da wird ja keine eigene Leitung gelegt (was die Sache auch viel teurer machen würde). Es funktioniert so: Das ausländische WKW produziert Strom. Verbraucht wird er hauptsächlich in der Umgebung. Das entspricht in der Grafik der Stadt A. Das dort befindliche WKW wurde aber nicht wegen der deutschen Energiewende erbaut. Es produzierte da schon Strom, seitdem man in der Gegend welchen benötigte. Man hatte dort möglicherweise einfach nichts anderes als Wasserkraft und war deshalb unbewusst schon immer „öko“. Laut österreichischem Ökostromgesetz [6] gilt Elektoenergie aus Wasserkraft als „Ökostrom“, was auch logisch klingt. Das können sich die Betreiber der Anlagen zertifizieren lassen. Diese Zertifikate für soundsoviel MWh produzierten Ökostrom können Ökostromhändler dann kaufen und ihren Kunden, z.B. in Dresden anbieten. Das schafft einige Arbeitsplätze und viel gutes Gewissen beim Kunden. In der Grafik sind die Zertifikate als „Z“ eingetragen.

Aber woher bekommen dann die Ökostrom-Verbraucher in der Stadt B (in unserem Fall also Dresden), ihren Strom? Na, selbstverständlich wie bisher aus den nächstgelegenen Kraftwerken. Woher auch sonst? Es ist nicht 100%ig ausgeschlossen, dass sich vielleicht sogar mal ein Elektron aus Österreich bis nach Dresden verirrt, denn es gibt ja europaweite Energieverbundnetze. Aber hauptsächlich kommt der Strom immer aus dem nächstgelegenen bzw. nächststärksten Kraftwerk. Unsere Straßenbahnen werden also auch ab Januar 2021 weiter mit Gas- und Kohlestrom fahren. Zumindest nachts und bei Windstille.

Der Ökostromhändler fungiert nur als Zwischenhändler zwischen lokalen Energieerzeugern und seinen Ökostromkunden. Clever ist es, wenn man als Energieerzeuger dank dieser Methode gleich noch eine Ökostrom-Abteilung gründet.

Der eigentliche Ökostrom wird weiter am Punkt A produziert und dort auch verkauft. Da das Zertifikat verkauft wurde, taucht er auf den Rechnungen der Kunden in Stadt A nur noch als normaler, sogenannter „Graustrom“ auf. Das kann den Kunden aber egal sein, denn sie wissen ja, dass bei ihnen ein Wasserkraftwerk steht. Am Punkt B wird weiter Graustrom produziert, er darf aber als Ökostrom verkauft werden. Das Einzige, was von A nach B wechselt, sind die Zertifikate.

Ist das nicht Betrug? Nein

Falls nun jemand sagt, das sei ja Betrug: Nein, das ist alles ganz legal. Unsere Gesetze ermöglichen das. Ich möchte auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich hiermit weder der DREWAG noch der DVB irgendwelche Betrügereien unterstellen will. Warum sollen diese beiden Unternehmen nicht dieselben Methoden anwenden, die von vielen Bürgern schon viel länger genutzt werden? Es gibt viele Ökostromhändler – warum soll die DREWAG dieses Geschäftsfeld nicht auch nutzen? Es gibt viele Menschen, die Ökostrom kaufen – warum sollen es die DVB dann nicht ebenfalls tun?

Betrug ist es nur in einem einzigen Sinn: Es ist Selbstbetrug bei uns Bürgern. Wer Ökostrom kauft und sich einbildet, das würde dem Klima nutzen, betrügt sich selbst. Wer sich einbildet, dem Klima würde es etwas nutzen, für jede MWh der Dresdner Straßenbahnen auch noch ein Zertifikat mit zu finanzieren, der redet sich was ein. Wie das alles funktioniert, ist ja kein Geheimnis, das kann man sogar bei Wikipedia lesen [7]. Nirgends entsteht dadurch ein Nutzen für den Klimaschutz. Hier vor Ort entsteht dadurch kein Wasserkraftwerk (wo auch?) und in Österreich wird ebenfalls kein zusätzliches errichtet. Man hat dort bestenfalls mehr Geld für ohnehin notwendige Sanierungen der bestehenden Anlagen. Hier entsteht dadurch auch keine zusätzliche Windkraftanlage. Ob solche Anlagen gebaut werden oder nicht, hängt von Ausschreibungen ab, von der vorgegebenen Standortauswahl, welche wiederum von verschieden Kriterien und Prüfungen abhängt, aber nicht davon, wie viele Ökostromkunden in der Gegend leben.   

Es gab von Anfang an Kritik an dieser Methode, Ökostrom nur in Form von Zertifikaten zu handeln. Die Zertifizierung wurde deshalb teilweise verbessert. Beispielsweise wurde kritisiert, dass ein WKW-Betreiber seine Zertifikate komplett in einem Monat produzieren und der Ökostromhändler sie dann aber übers Jahr verteilt verkaufen könnte. Deshalb zertifiziert beispielsweise der TÜV SÜD nur, wenn „die Gleichzeitigkeit zwischen Erzeugung und Verbrauch mindestens im Stundenraster“ gegeben ist [7]. Das ändert aber nichts an dem Problem, dass der Strom trotzdem nicht hier ankommt. Die DVB gibt an, dass sie von der DREWAG das Produkt „Dresdner.Strom.Natur“ beziehen wird. Auf der dazugehörigen Website [8] steht, der Strom stamme aus Energiequellen wie „Wasser, Sonne und Wind„. In der pdf-Datei „Produktblatt Dresdner.Strom.Natur“ [9] ist nur noch von  Wasserkraft die Rede. Wo sich diese WKW befinden, steht da nirgends. Meine Anfrage dazu wurde bisher nicht beantwortet (Update: kam am 12.12., siehe Nachtrag), was aber daran liegen kann, dass es ein Produkt für Geschäftskunden ist, was ich nicht bin. Die DREWAG bietet Ökostrom unter der Marke Energie.Manufaktur auch für Privatkunden an. Dort erfährt man mehr [10]. Die Ökostromquellen befinden sich in …

… man ahnt es schon: Österreich, Schweden und Norwegen.

Bildquelle: https://www.energiemanufaktur.net „Welche Anlagen erzeugen unseren Ökostrom?“

In Österreich handelt es sich um das Wasserkraftwerk in Braunau-Simbach. Das wäre mit 550 GWh/a rein theoretisch durchaus in der Lage, alle Dresdner Straßenbahnen anzutreiben. Praktisch wird seine Energie leider vor Ort verwendet.

Aber vielleicht lässt sich das Dresdner Klima ja doch mit Zertifikaten austricksen. 40.000 Euro sollte uns der Versuch schon wert sein.


Nachtrag

Ich erhielt nach der Veröffentlichung dieses Textes doch noch eine Antwort von der DREWAG. Sie bestätigt das, was ich hier beschrieb. Es werden zwar andere WKW genutzt, doch es sind – wie vermutet – österreichische Kraftwerke. Das erwähnte Wasserkraftwerk Passau-Ingling steht zwar in Deutschland, aber direkt an der Grenze zu Österreich. Der Eigentümer ist seit 2013 zu 100 % im Besitz der österreichischen Verbund AG. Hier die Antwort:

… wir kaufen die gesamte Strommenge für unser Produkt Dresdner.Strom.Natur ein. Sie stammt zu 100 % aus erneuerbaren Energiequellen in Europa – je nach Zertifizierung unterscheidet sich hier die Herkunft des Stroms.

Bei TÜV-zertifiziertem Grünstrom handelt es sich zu 100 % um Strom aus Wasserkraftanlagen in Europa. Bei Grünstrom, der nicht separat vom TÜV zertifiziert wird, kann der Strom aus unterschiedlichen Energiequellen wie Wasser, Sonne, Wind oder Biomasse stammen. In 2019 waren das zum Beispiel das Laufwasserkraftwerk Greifenstein in Österreich oder das Wasserkraftwerk Passau-Ingling in Deutschland.

Generell speisen die Erzeugungsanlagen den Strom vor Ort in das allgemeine Versorgungsnetz ein. Eine direkte physische Lieferung bis zur betreffenden Verbrauchsstelle in Dresden ist deshalb nicht möglich. Anlagenbetreiber können für ihren erzeugten Naturstrom jedoch Herkunftsnachweise beantragen und dann verkaufen. Dies sind elektronische Zertifikate, die im Herkunftsnachweisregister (HKNR) z. B. des Umweltbundesamtes erfasst sind.

Kaufen wir diesen Naturstrom für unsere Kunden ein, werden die Herkunftsnachweise in entsprechender Menge entwertet. Damit ist zum einen sichergestellt und nachgewiesen, dass diese zertifizierte Strommenge in der Erzeugungsanlage tatsächlich produziert wurde und zum anderen, dass diese Menge nicht ein weiteres Mal verbraucht werden kann …“


Quellen

[1] Pressemitteilung DVB

Der Text ist auch im „DVB Einsteiger 04/2020“ enthalten.

[2] Dresdner Heizkraftwerke

[3] DREWAG, Erneuerbare Energien

[4] PSW Niederwartha

[5] Oiger, Größter Batteriespeicher Sachsens in Dresden gestartet

[6] Ökostromgesetz Österreich

[7] Wikipedia, Ökostrom

[8] DREWAG „Dresdner.Strom.Natur

[9] Produktblatt Dresdner.Strom.Natur

[10] Energie.Manufaktur

 



3 Comments

  1. @ Micha: Das mit Braunau fiel mir auch auf 🙂 Aber das ist nur ein Zufall und ich halte nichts davon, überall krampfhaft Nazi-Bezüge einzubauen.

  2. @Frank Den Kalauer konnte ich nicht liegenlassen. 🙂 Ansonsten bin ich ganz bei dir. Allerdings richtet sich meine Abneigung konkret gegen Nazi-*Vergleiche*.

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