|

Das sind eher so Richtlinien: Völkerrecht im Wandel der politischen Lage

Nein, ich habe keine Ahnung, ob die Abspaltung der Krim nun völkerrechtswidrig war oder nicht. Ich gebe offen zu, dass ich gar nicht weiß, was im Völkerrecht überhaupt drin steht, denn ich habe es ja nie gelesen. Doch so wie es aussieht, befinde ich mich da in guter Gesellschaft mit den meisten anderen, die momentan darüber diskutieren und stets genau Bescheid wissen. Wenn es in den Medien um dieses Thema geht, werden oft genug erst Experten dazu befragt. Aus den Auskünften der befragten Professoren kann sich anschließend jeder das heraussuchen, was ihm am besten passt: Das mit der Krim war völkerrechtswidrig … nein, war es nicht … kann man nicht so einfach sagen … es war weder eine Annexion noch völkerrechtswidrig … sei war zwar keine klare Form von Annexion, aber auch keine eindeutige, saubere Form einer Sezession …

Noch Unklarheiten? Bedeutet das, dass man den Daseinszweck dieser gut bezahlten Experten hinterfragen darf? Man kommt lediglich einmal in mehreren Jahren mit einem Problem zu ihnen und dann können sie uns keine Antwort geben … Oder bedeutet es, dass das Völkerrecht eine ziemlich schwammige, auslegbare Sache ist? Mich erinnert so etwas immer an die „Piraten der Karibik“, wenn sie ihren unantastbaren Codex zwecks freierer Auslegung auf „das sind doch eher nur so Richtlinien“ herab stufen. Auch das anscheinend so wichtige Völkerrecht scheint viel Freiraum für Auslegbarkeit zu bieten. In den letzten Wochen sind in den Interpretatiosmöglichkeiten zwei bemerkenswerte Behauptungen hinzugekommen, von denen man früher noch nie etwas gehört hatte. Dabei geht es um den Fall „Abspaltung des Kosovo“. Dieser wurde bei der Unabhängigkeitserklärung der Krim als Präzedenzfall heran gezogen, weil im Kosovo ebenfalls eine einseitige Unabhängigkeitserklärung stattfand, ohne Einwilligung des Hauptstaates. Die Sezession des Kosovo wurde damals von den meisten Staaten als nicht völkerrechtskonform betrachtet. Die Begründung dafür war, dass Serbien dieser Abtrennung nicht zugestimmt hatte und sich aber beide Partner – also der Staat und der sich trennende Teil – einig sein müssten. Die USA, Deutschland und einige andere europäischen Länder hatten den Kosovo damals als eigenständigen Staat anerkannt – sicher hat das absolut nichts damit zu tun, dass bald vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein Urteil kam, die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo verstieße keineswegs gegen das Völkerrecht.

Kein Wunder, dass Russland sich im Fall der Krim nun wiederum auf eben dieses Urteil bezog. Doch seit einigen Wochen tauchen immer wieder zwei völlig neue Argumente auf, die begründen sollen, weshalb der Kosovo ein völlig anderer Fall als die Krim sei:

  1. im Kosovo waren bereits viele Leute gestorben und man konnte die Situation so einfach nicht mehr länger hinnehmen
  2. dort hätten schon viel länger Sezessionsbestrebungen bestanden

Nun wäre es weltfremd, abzustreiten, dass durchaus eine Menge Unterschiede zwischen den Fällen Krim und Kosovo bestehen. Aber die oben genannten Gründe geben schon zu denken:

  1. Schuld daran, dass im Kosovo Menschen starben, waren zunächst die kosovoalbanischen Separatisten selbst. Dass die Situation dort so eskalierte, begann mit immer wieder vorkommenden Überfällen der kosovoalbanischen UÇK auf Serben. Serbien hat sich das irgendwann nicht mehr länger bieten lassen. Also befürwortet man nun nachträglich Separatisten, wenn diese ihre Abspaltung mit Morden begannen? Das wäre ein verhängnisvolles Signal an andere Völker mit Separationsgedanken wie zum Beispiel die Basken oder (kleiner Scherz) Mitglieder der Bayernpartei. Um es überspitzt darzustellen: Hätten die russischen Bewohner der Krim also besser erst einige Ukrainer töten müssen, damit die völkerrechtliche Anerkennung ihrer Sezession anschließend bessere Chancen hätte?
  2. Dass der lange Zeitraum eine Rolle spielen könnte, wird nicht nur die Basken hellhörig machen. Wieso sollten längere Sezessionsbestrebungen aber gerechtfertigter sein als spontane? Und welchen Zeitraum muss man mindestens verbuchen können?

Steht das wirklich so im Völkerrecht? Was wird darin zu diesen Themen ausgesagt und wo kann man das überhaupt lesen? Laut Wikipedia ist die „wichtigste positivrechtliche Rechtsquelle des Völkerrechts … die Charta der Vereinten Nationen“ – hier in der deutschen Version. Da man dort sehr viel Text findet, bietet sich die Suchfunktion an. Interessant ist, dass sich zu Suchbegriffen wie „Abspaltung“, „Separatismus“, „Separation“ oder auch nur „Separa“ absolut nichts findet. So etwas kommt in diesen Texten nirgends vor. Frau Krone-Schmalz sagte das bereits kürzlich bei Günter Jauch und wurde dafür ziemlich kritisiert. Auch ich fand ihre Begründung etwas an den Haaren herbei gezogen. Aber letztlich hat sie Recht: Das Thema kommt im Völkerrecht – oder zumindest in der UN-Charta – gar nicht vor. Auch zu Begriffen wie „Unabhängigkeit“ und „Selbstbestimmung“ findet man nur recht allgemein gehaltene Passagen. Nirgends steht etwas über Abspaltungsbedingungen. (An besseren Suchvorschlägen bin ich durchaus interessiert.)

Drängt sich nun der Eindruck auf, dass es müßig ist, die Abspaltung der Krim überhaupt aus dem Blickwinkel des Völkerrechts zu diskutieren? Diese Frage würden die Experten sicher verneinen. Schon wegen der Honorare.

3 Comments

  1. Gute Frage :

    Frank:
    Dass der lange Zeitraum eine Rolle spielen könnte, wird nicht nur die Basken hellhörig machen. Wieso sollten längere Sezessionsbestrebungen aber gerechtfertigter sein als spontane? Und welchen Zeitraum muss man mindestens verbuchen können?

    Putin hat hier Maßstäbe gesetzt : Drei Wochen sind zu unterbieten !

  2. Ich hatte extra keine Links auf die vielen verschiedenen Professoren-Meinungen eingefügt, weil es davon zu viele gibt und man sich wahrscheinlich über jede einzelne ewig streiten kann. Das sollen die aber mal bitte unter sich ausmachen 🙂

Comments are closed.