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Dead Can Dance: Konzerttip für Leute, die schnell wieder heim wollen

Machen wir uns nichts vor: Wenn man erst einmal über 40 ist, dann ist man irgendwann froh, wenn Rockkonzerte nicht mehr bis in die Morgenstunden gehen. Man muss schließlich früh wieder raus, braucht seinen Schlaf – also ist man insgeheim froh, wenn spätestens nach der zweiten Zugabe endlich Schluss ist. In der Hinsicht perfekt geeignet sind anscheinend Konzerte von Dead Can Dance. Heute, also am 16.06.2013, traten Brendan Perry und Lisa Gerrard in Dresden in der Freilichtbühne „Junge Garde“ auf. 20 Uhr ging’s los und pünktlich um 21:30 sagte Perry bereits wieder „good night“. Selbstverständlich klatschten wir noch entsprechend, damit die Zugabe bald beginnen und 22 Uhr dann endlich alle nach Hause konnten.

Ich fand nur, dass bereits der Beifall für die Zugabe wenig verdient war.

Ja, ich bin ein wenig enttäuscht. Nicht nur wegen der kurzen Dauer. Zunächst einmal war ich ja froh, dass Perry und Gerrard seit einer Weile wieder gemeinsam auftreten, ein neues Album heraus brachten und nun auch nach Dresden kommen wollten. Mir war auch bekannt, dass es bei Dead Can Dance-Konzerten ein grundsätzliches Problem gibt – zu hohen Perfektionismus. Völlig in Ordnung ist noch, dass sie das Bestreben haben, live einen fast genauso guten Sound wie im Studio zu erreichen. Aber ungünstig ist, dass sie auch jede Note, jeden Sound der Instrumente und selbst jede Stimmmodulation exakt so wiedergeben wie im Studio. Das hört man sofort, wenn man sich Livealben von Dead Can Dance anhört – kaum ein Unterschied zur Studioproduktion. Warum soll man sich dann die Liveversion überhaupt anhören? Aber gut – wenn man das weiß, kann man sich darauf einstellen, dass Überraschungen wohl ausbleiben werden. Ich habe das gewusst, und wollte die Band eben trotzdem live erleben. Lisa Gerrard war vor einigen Jahren schon einmal mit ihrem Soloprogramm in Dresden, ebenfalls sehr perfektionistisch, und es war trotzdem ein tolles Konzert.

Was mir nicht gefiel, war der Inhalt: Es wurde fast nur der Inhalt ihres aktuellen Albums „Anastasis“ gespielt. Dabei ist dieses Album noch nicht einmal schlecht, es ist wesentlich besser als das vorherige „Spiritchaser“, ich habe „Anastasis“ nach mehrmaligem Anhören auch gekauft, höre es gelegentlich auch immer noch (sogar jetzt während des Schreibens), aber live wirkte es leider etwas wie „gepflegte Langeweile“. Meinetwegen Langeweile auf hohem künstlerischem Niveau, aber ich wünschte mir trotzdem bald, sie sollten doch nun bitte auch einmal etwas aus ihrer wichtigen Schaffensphase spielen: Von „The serpent’s egg“, von „Aion“ und vor allem von dem genialen Album „Into the labyrinth“. Und gern auch Stücke von den drei vorherigen Alben. Aber davon kam fast nichts. Aus Lisa Gerrard’s Solo-Album „The mirror pool“ gab es immerhin „Largo“ (nachträgliche Korrektur: Es war „Sanvean“ vom gleichen Album), weiterhin „Cantara“ von „Within the Realm of a Dying Sun“, sehr viel Beifall bekam auch „The host of Seraphim“ von „The serpent’s egg“, aus „Into the labyrinth“ stammte erst das erste Stück in der Zugabe, dort schloss sich dann endlich ein Stück aus dem Frühwerk an, danach Brendan Perrys Coverversion von Tim Buckleys „Song to the siren“ und dann endete der begonnene Abend schon wieder mit einem Stück aus dem aktuellen Album.

Merken die Musiker bei ihren Konzerten nicht, dass die früheren Sachen viel mehr Beifall erhalten? Muss Brendan Perry immer seine Adaptionen anderer Stücke mit einbauen? Die sind zwar nicht direkt schlecht, erreichen aber auch nicht das Niveau der erwähnten DCD-Alben. Die Mischung 50% aktuelles, 50% früheres wäre nicht verkehrt gewesen. Wenigstens eine halbe Stunde mehr Spielzeit übrigens auch nicht. Und man muss auch nicht sofort nach der ersten Zugabe die Konservenmusik einschalten, um allen klar zu machen: Weiterklatschen zwecklos! Konzert ist zu Ende!

Nachtrag: Wie ich am nächsten Morgen durch Vergleich anderer Konzerte feststellte, scheinen sie fast immer dasselbe zu spielen. Die Setlist in Dresden dürfte die folgende gewesen sein:

Children of the Sun vom Album Anastasis
Agape – Anastasis
Rakim – erstmalig auf dem Live-Album „Toward the Within“ veröffentlicht, stilistisch eher ein Solo-Stück von Perry
Kiko – Anastasis
Amnesia – Anastasis
Sanvean – Lisa Gerrard „The Mirror Pool“
Black Sun – Aion
Nierika – Spiritchaser
Opium – Anastasis
The Host of Seraphim – The serpent’s egg
Ime Prezakias – Perry (trad.)
Cantara – Within the Realm of a Dying Sun
All in Good Time – Anastasis

Zugabe:

The Ubiquitous Mr. Lovegrove – Into the labyrinth
Dreams Made Flesh – It’ll end in tears (This Mortal Coil)
Song to the Siren – Solo-Stück von Perry (Tim Buckley cover)
Return of the She-King – Anastasis

Es gab also keinen einzigen Unterschied zu den letzten Konzerten. Die Abfolge war sogar weitgehend identisch mit der ihres aktuellen Livealbums. Was ich während des Konzerts nur als „Stück aus dem Frühwerk“ einordnen konnte, war eindeutig „Dreams Made Flesh“ von dem ersten „This Mortal Coil“-Album. Das ist übrigens keine Cover-Version, wie auf setlist.fm angegeben, sondern stammt von Perry und Gerrard selbst und wurde damals auch schon nur von ihnen produziert.

Hätte ich mich also gefälligst vorher darüber informieren können, was sie spielen, bevor ich mich hier beschwere? Ja, hätte ich machen können. Aber so machen Konzertbesuche doch keinen Spaß mehr, wenn man bereits vorher alles darüber weiß!


Nebenbei, da ich hier Tim Buckleys „Song to the siren“ erwähnte: Die beste Coverversion dieses Stückes befindet sich auf dem erwähnten ersten „This mortal coil“-Album „It’ll end in tears“, wo neben Brendan Perry und Lisa Gerrard noch weitere Musiker des 4AD-Labels mit wirkten. Gesungen wird „Song to the siren“ da von Elizabeth Frazer (Cocteau Twins). Frazer singt auf diesem Album auch das Buckley-Cover „Another day“, was auch in einer Version existiert, die von Peter Gabriel und Kate Bush produziert wurde, aber auf keinem Album existiert. Eine ebenfalls interessante „Song to the siren“-Version gibt es von Robert Plant (Led Zeppelin) auf seinem Album „Dreamland“. Die Originalversionen von Buckley gefallen mir übrigens gar nicht. Und auch auf die Gefahr, jetzt endgültig abzuschweifen: Auf „Dreamland“ befindet sich auch die allergenialste Coverversion von Hendrix‘ „Hey Joe“ …

10 Comments

  1. hallo frank,

    lisa gerrards solostück war sanvean, nicht largo.

    ansonsten finde ich deine kritik zwar teilweise berechtigt, mir hat das konzert trotzdem gefallen… ;o)

    mfg
    bert

  2. Interessant, kannte ich bisher nicht und hab‘ auf diesen Beitrag hin mal reingehört.
    Ehrlich gesagt nicht so mein Ding…
    Depeche Mode neulich war cool, klangen wie erwartet und doch zum Teil recht überraschend! Nun ja, Geschmack ist Geschmackssache…

  3. Hey Frank,

    gute Auseinandersetzung mit dem Konzert. Mir hat es trotzdem gut gefallen. Der Auftritt war typisch für Dead Can Dance. Minimale Bühnenshow und zurückhaltende Protagonisten. Als Perry kurz ins Erzählen kam waren die Besucher sofort interessiert und hingen an den Lippen. Dann wurde aber weiter routiniert runter gespielt. Etwas Schade, dass das Konzert bereits 20 Uhr los ging. Die Junge Garde etwas dunkler hätte mehr Atmosphäre gebracht. Ich werde mir aber beim nächsten Mal überlegen wieder 50 Euro zu bezahlen.

  4. @ bert: Ja, Du kannst mit „Sanvean“ statt „Largo“ Recht haben. Ich war mir nach dem Schreiben auch nicht mehr sicher – ich werde noch eine kurze Notiz einfügen.

    Es ist nicht so, dass mir das Konzert gar nicht gefallen hatte, ich war nachher nur ein wenig enttäuscht.

  5. Hi,

    ja, die coolness. Ein Problem? Nicht wirklich, denn man kennt sie (DCD) ja, oder?
    Die Organisation des Konzertes, schon eher schlecht. Der PreAct kam schon ziemlich zeitig und dann der „überaschende“ Beginn – die Leute fluteten die Sitzplätze und die Musiker performten schon. Echt doof! Und dann können einige Typen ihre Karten nicht lesen und sitzen prompt auf Plätzen, die dann von anderen beansprucht werden. Und das natürlich mitten im Konzert. Mir stellt sich die Frage, ob so ein Konzert nicht doch besser in ein Konzerthaus mit klarem zeitlichen Ablauf passen würde. Dadurch verhindert man auch bierholende Starktrinker und den Qualm der Raucher ohnehin. ***Würg***
    Und leider ist es so, dass um 22:00 Uhr Ende ist in der Jungen Garde. Amtlich gefordert! Ich glaube, die dürfen nur 2x im Jahr über diese Zeit hinaus „Krach“ machen. Somit wurde eine weitere Zugabe mit einsetzen der Konservenmusik verhindert und der Zeitrahmen eingehalten. Und somit erklärt sich auch der zeitige Start.
    So…

  6. @Marco: Ist das tatsächlich so, dass dort amtlich ein Ende um 22 Uhr gefordert ist? Ich kann mich nicht erinnern, dass meine beiden letzten dort erlebten Konzerte (Bob Dylan, Nick Cave) auch so zeitig zu Ende waren (bin mir aber nicht sicher, denn das ist schon wieder eine Weile her).

  7. @Frank
    Genau weiß ich dass auch nicht, aber ich habe definitiv von so einer Regelung gehört. Nach Protesten von Anwohner ist das wohl so verordnet worden.
    Und nicht Jedem der dort wohnenden wird ein lauter Konzertabend, regelmäßig am Wochenende, gefallen.

  8. Also ich war auch in Dresden. Es war enttäuschend, aber auf hohem Niveau. Vielleicht hätten sich DCD mal locker machen können, es war schließlich Sommer, Sonne und Sonntag abend. So war vor der Bühne ein Publikum welches eben nicht in der Philharmonie ohne Bier und Zigaretten aushalten musste und auf der Bühne die Anastasis-GmbH auf World-Tournee, mitnehmen was geht. Im Grunde gab es wenig Unterschiede zur Tour-Set-List im Herbst. Aber ich habe da noch 2005 im Kopf (früher ging nicht, da war irgendwie noch ne Mauer etc.) und dieses Konzert eben auch Live auf CD. Und zwischen diesen Konzerten bestehen meilenweite Unterschiede. OK-damals war es eine Best-Of-Show. Damals war die bessere Setlist und es war göttlicher, erhabener. Es war nicht so keyboardlastig. Gerrad, die Hohepriesterin und Brendon, der MultiMaskMan. OK-das man irgendwie als GmbH DcD Geld braucht, geschenkt. Das man das Gefühl hat, da stehen zwei Vertragspartner auf der Bühne (auch damals schon), geschenkt. Ein bissel Schauspielerei und Interaktion, bitte. Weiter hinten fällt das nicht auf, da die Musik auch dort perfekt klingt. Und man kann besser alles beobachten und in der Musik träumen und fliegen. Und es kostet nicht so viel. Sorry, aber für Preise von 70Euro (DcD), 60Euro(Pixies), 80Euro(DM) hab ich echt nen Problem und sollten DcD wiederkommen, dann muss ich mir ein weiteres Konzert schon überlegen, 2005 war und ist der Maßstab der Qualität.
    Einige Songs klangen arrangiert schon etwas anders, man kaufe sich einfach die neue Live-CD. Aber auch hier-es wird verkauft was das Zeug hält, in der Version und in einer De-Luxe etc. OK-geschenkt, Musiker zu sein ist ein hartes Brot und die Zeiten haben sich masiv geändert.
    Ach ja, es gab mit der Zugabe schon ein bissel Rock-and Roll. natürlich nur vor der Bühne, aber das war es wert))) Blöd für die ersten Sitzplatzreihen))) Vor die teuren Plätze gestürmt, die Freundin im Arm gehalten und der Musik gelauscht. Ich hbae so viele glückliche Gesichter gesehen))) Alleine die Coverversion *Song to the Siren* live von Brendan (der inzwischen einfach die erdigerere Ausstrahlung vermittelt) , und hängen an dieser Musik, es wurde dunkel…das war es wert.

    Es war übrigens Sanvean, was gespielt wurde, gehörte auch 2005 zur Setlist…

  9. Ja, die Leute auf den teuren Plätzen (die wir uns im Herbst im Tempodrom auch geleistet hatten) schauten nicht gerade erfreut.
    Aber was solls, ich bin auch vor und fands gut – dann…
    Vielleicht sollte man auf Sitzplätze verzichten und die Leute gleich vor die Bühne holen. Ich hatte den Eindruck, dass Perry doch ein klein bischen(?) beeindruckt war von dem, was plötzlich so vor der Bühne bei einem DCD Konzert los sein kann.
    Da kann nur den DCDs zurufen „Mehr Mut“ und weniger Wert auf Perfektion. Denn so toll war der Sound auf den hinteren Plätzen nun auch nicht. Die PA bei DM war um Längen besser. Glasklarer Sound, beeindruckend.

  10. Im Frühjahr und Herbst 2005 fand überraschend eine gemeinsame Europa- und Nordamerikatournee als Dead Can Dance statt, bei der mit Saffron, Yamyinar, The Love that Cannot Be, Crescent, Minus Sanctus und Hymn for the Fallen auch neue Lieder der beiden Komponisten gespielt wurden. Es kursierten Gerüchte um eine Reunion. Nach dieser sehr erfolgreichen Tournee bestätigte Lisa Gerrard allerdings in mehreren Interviews, dass es sich bei den gemeinsamen Auftritten um eine einmalige Aktion handele und es keine neuen gemeinsamen Veröffentlichungen als Dead Can Dance geben werde. Sie und Brendan Perry hätten sich über die Jahre musikalisch zu sehr voneinander entfernt und die Differenzen seien unüberbrückbar geworden.

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