Zum Aus für die Natur- und Umweltschule: So privat sind Privat-Schulen gar nicht
Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat nun entschieden, dass die Dresdner Natur- und Umweltschule (NUS) keinen Anspruch auf eine Genehmigung hat. Bei dieser Meldung fiel mir ein, dass seit 2012 ein unveröffentlichter Blogartikel zur NUS auf meinem Notebook liegt. Damals wurde ich auf Facebook von jemandem in die Gruppe „Unterstützung für die Natur- und Umweltschule“ eingeladen, weil eine Petition zu deren Erhalt unterschrieben und beworben werden sollte. Dummerweise habe ich die Angewohnheit, bei Petitionen immer erst einmal zu überlegen, ob man die Sachlage nicht auch anders sehen kann, ob die Begründung stichhaltig ist, ob hier vielleicht Details fehlen … viele Petitionen gehen deshalb bei mir nach hinten los. Und so war es auch bei dieser. Während ich mich mit dem Thema befasste, entstanden einige Notizen, bald war es ein vollständiger Artikel. Veröffentlicht habe ich ihn dann aber nicht, weil ich mir dachte, ich müsse ja nicht schon wieder etwas kritisieren, lass die doch einfach ihre Schule umsetzen, wen stört denn das?, am Ende funktioniert die Schule vielleicht sogar ganz gut …
… aber nun ist die Geschichte wahrscheinlich zu Ende, deshalb hier nachträglich mein alter Text dazu, stellenweise natürlich etwas aktualisiert.
Ich saß zu Beginn bei diesem Thema gleich wieder völlig zwischen den Stühlen. Denn einerseits finde ich es immer gut, wenn Kinder an Natur herangeführt werden sollen, aber andererseits fand ich das Schulkonzept, konkret betrachtet, sehr fragwürdig. Warum, erkläre ich am Ende. Doch was mich viel mehr störte, war die Prozedur an sich: Da kann also jeder kommen, eine Schule gründen und dann darauf pochen, gefälligst anerkannt zu werden?
Denn was aus meiner Sicht bei der ganzen Angelegenheit sehr unter den Tisch fiel, war, dass da auch Geld vom Staat mit dran hängt. Die Unterstützer stellten es nur so hin, dass hier eine großartige private Initiative von einer bösen staatlichen Behörde verhindert wurde. Aber der Staat hätte die Schule bei ihrer Anerkennung anschließend auch finanzieren müssen. Und zwar hauptsächlich. Der Teil der Geschichte sollte schon mit erwähnt werden.
In den Internetdiskussionen zu diesem Thema zeigte sich häufig: Viele wissen überhaupt nicht, dass vermeintliche Privatschulen gar nicht so privat sind. Bezahlt werden sie hauptsächlich vom Staat. „Privatschule“ klingt offenbar in Deutschland etwas anrüchig, deshalb bezeichnen sich nichtstaatliche Schulen bei uns lieber als „Freie Schulen“. Was aber trotzdem dasselbe ist. Exakter wäre übrigens der Begriff „Ersatzschule“. Ersatzschule bedeutet, dass ein Besuch bzw. ein Abschluss an ihr denselben an einer staatlichen Schule ersetzt.
Warum zahlt der Staat Geld an Privatschulen? Der Grund ist ein positiver: die Gewährleistung der Gleichberechtigung. Würden sich Privatschulen nur über Schulgeld der Eltern finanzieren, dann könnten sich das nur reiche Familien leisten. Damit aber das Recht auf freie Schulwahl und das Prinzip „gleiche Chancen für alle“ gewährt wird, sorgt der Staat durch zusätzliche Zahlungen dafür, dass das Schulgeld für die Eltern halbwegs gering bleibt, so dass sich auch ärmere Familien diese Schulen leisten können. Auch diese sollen die Möglichkeit haben, ihre Kinder auf eine nichtstaatliche Schule schicken zu können. Bei Ersatzschulen werden deutschlandweit im Durchschnitt 84% der Kosten vom Staat getragen. In Sachsen werden 90% der Personalkosten übernommen, die an einer vergleichbaren staatlichen Schule anfallen würden.
In Deutschland hat man allgemein das Recht, private Schulen gründen zu dürfen. Da der Staat aber bei einer Anerkennung der Schule anschließend ihre Hauptkosten trüge und auch zu deren Zahlung verpflichtet wäre, ist es völlig logisch, dass der Staat ein paar einschränkende Bedingungen stellt. Ansonsten könnte sich jeder durch eine Schulgründung bald ordentlich staatliches Geld überweisen lassen. Ganz klar, dass man hier Bremsen ins System einfügen muss. Und klar ist auch, dass ab und zu aus diesen Gründen eine Schulgründung abgelehnt werden wird.
In Deutschland gibt es für die Gründung von Privatschulen also ein paar Regeln. Bei Grundschulen (die NUS ist eine Grundschule) kommt hinzu, dass sie für eine Zulassung konfessionell ausgerichtet sein oder ein besonderes pädagogisches Konzept verfolgen muss. Solche besonderen Konzepte sind z.B. Waldorf- oder Montessori-Pädagogik. Bei der NUS war kein solches Konzept vorhanden. Der Schulträger hatte nach Kritik durch die Sächsische Bildungsagentur (auch wegen anderer Mängel) anscheinend sogar das ganze erste Jahr verstreichen lassen, ohne ein überarbeitetes Konzept vorzulegen. Später entschied die NUS sich für das Modell der Jenaplan-Pädagogik. Allerdings gab es in Dresden bereits eine Schule mit diesem Modell, nämlich die Laborschule Dresden. Dann war bei der NUS allgemein von Reformpädagogik die Rede, die es aber auch schon an mehreren Dresdner Schulen gibt. Zuletzt war auf der Internetseite der NUS unter Konzept nichts Konkretes mehr zu lesen. Neben mehreren sehr allgemeinen Aussagen, die viele Schulen schreiben könnten (z.B. „Ermöglichung von kindgerechtem und fächerübergreifendem Lernen, jedes Kind in seiner Persönlichkeit wahrnehmen, Freiräume gewähren, sozialem Lernen Raum geben …“) ist nur ein etwas konkreterer Punkt aufgeführt. Man wolle
einen rhythmisierten den kindlichen Bedürfnissen entsprechenden Tagesablauf mit einem Wechsel von Lerneinheiten, Bewegung, Spiel und Erholung
gestalten. Das ist für ein Schulkonzept wohl etwas zu wenig. Im Online-Magazin „Neustadt-Geflüster“ wird auch erwähnt, das Konzept sei,
einen Unterrichtsanteil von mindestens 50 Prozent im Freien bzw. außerhalb des Schulgebäudes stattfinden zu lassen.
Ob das als Konzept ausreichend ist, darüber kann man sich streiten. Im gleich folgenden Textabschnitt beschreibe ich, warum ich es fragwürdig finde, Unterricht überhaupt draußen durchführen zu wollen. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat jedenfalls entschieden, dass es nicht genügt.
Warum ich das Konzept der NUS fragwürdig fand
Ähnlich wie Waldkindergärten hat diese Schule auch ein solches Waldkonzept, bei dem sich die Kinder möglichst viel draußen aufhalten. Das klingt oberflächlich betrachtet zunächst gut, aber während man im Kindergarten spielen und sich dadurch ständig bewegen kann, muss man als Schüler im Unterricht sitzen bleiben. Sobald es kälter wird, ist das für die Schüler eine Zumutung. Das funktioniert nicht. Und welchen Nutzen soll es eigentlich haben, Unterricht draußen durchzuführen? Bei einigen Natur-Themen im Fach „Sachkunde“ ist das sicher zweckmäßig, teilweise vielleicht auch im Kunstunterricht. Aber ansonsten hat ein Aufenthalt im Wald bei der Durchführung von Unterricht keinen Sinn, sondern stört eher. Draußen kann es je nach Jahreszeit und Wetter zu heiß, zu kalt, zu nass oder zu windig sein, die Sonne kann blenden, es kann regnen, im Herbst und im Winter wird es gar nicht gehen, weil man unmöglich so lange im Kalten sitzen kann … nicht umsonst hat die Menschheit irgendwann den Vorteil des Aufenthalts in geschlossenen Räumen erkannt. In der Schule braucht man Unterrichtsmaterialien, Tafeln, Schreibzeug – wie sollen diese Dinge dauerhaft im Außenbereich gelagert oder transportiert werden? Außerdem kann man Natur- und Umweltthemen auch nicht in jedes Fach einbauen … na gut, man kann in Mathematik mit Äpfeln und Birnen rechnen. Das geht aber auch drinnen.
Fakten und Quellen
Übersicht über Hintergründe, Finanzierung und Zulassung privater Schulen
„… Die Errichtung einer Ersatzschule bedarf der staatlichen Genehmigung. Diese Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Schule in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den staatlichen Schulen zurücksteht, wenn ihre Schüler nicht nach den Besitzverhältnissen der Eltern gesondert werden und wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte genügend gesichert ist. Der Genehmigungsantrag ist bei der zuständigen Schulbehörde einzureichen (z. B. Kultusministerium, Regierungspräsident, (Ober-)Schulamt oder Bezirksregierung).
Einen Sonderfall bilden private Grundschulen. Sie dürfen nur gegründet werden, wenn sie konfessionell ausgerichtet sind oder ein besonderes pädagogisches Konzept verfolgen (z. B. Montessori-Schulen). Artikel 7, Absatz 5 des Grundgesetzes besagt: Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.“
Anforderungen an Ersatzschulen in Sachsen
Ersatzschulen werden bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Ablauf der Wartefrist durch den Freistaat finanziell unterstützt. Die Wartefrist beträgt für Schulen, die ihren Betrieb neu aufnehmen, vier Jahre.
Änderung 2015: mehr Geld und kürzere Wartefristen für freie Schulen
Finanzierung von 80% auf 90% erhöht, Änderung Sachkostenanteil, Wartefrist von 4 auf 3 Jahre verringert
Berechnung der Finanzierung sächsischer Schulen in freier Trägerschaft
Halbwissen finde ich hier als Überschrift passend. „In der Schule braucht man Unterrichtsmaterialien, Tafeln, Schreibzeug – wie sollen diese Dinge dauerhaft im Außenbereich gelagert oder transportiert werden? “
Wenn Sie seit Jahren an dem Thema dran sind, hätten Sie sich diese Frage leicht beantworten lassen können, z.B. beim Tag der offenen Tür. Es gibt 3 überdachte Waldplätze mit Tischen und Bänken; es gibt 2 Pädagog_innen je Lerngruppe/24 Kids, die je nach Alter individuell mit den Gruppen arbeiten, was die Tafeln erübrigt; es gibt Schulrucksäcke für Schreibzeug, Handwagen für schwerere Materialien und einen Bauwagen für Materialien wie Lernspiele etc., die ständig genutzt werden.
Wenn das der einzige Kritikpunkt an meinem Artikel ist, kann ich gut damit leben. Denn es war mein nebensächlichster Einwand.