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Wo der Drachentöter sich irrt

Beim ersten Ansehen des Biermann-Auftritts im Bundestag schwankte ich zwischen Fremdschämen und „na, so isser halt“. Wolf Biermann ist ja seit Jahrzehnten nur auf die alte SED fixiert und insofern war etwas Derartiges von ihm zu erwarten. Als selbsternannter Drachentöter, der das SED-Regime quasi im Alleingang besiegte („Ich habe Euch zersungen mit den Liedern als Ihr noch an der Macht wart“), hat er selbstverständlich auch das Recht, dem elenden Rest dessen, was zum Glück überwunden ist, nachträglich die Meinung zu geigen bzw. zu klimpern. Außerdem verträgt der Bundestag so eine kleine Auflockerung völlig problemlos, unsere Parlamentarier sind noch ganz andere Dinge gewöhnt, denn dort werden über das Jahr verteilt noch viel „nettere“ Worte gesagt.

Insofern ist das alles nicht weiter erwähnenswert. Wo sich Biermann und seine Fans allerdings täuschen: Es war keineswegs eine Heldentat von ihm, dort das Wort zu ergreifen. Der Bundestagspräsident Lammert wies Biermann ja darauf hin, dass er nur zum Singen eingeladen sei, es gäbe da aufgrund der Geschäftsordnung im Bundestag gewisse Regeln, worauf Biermann konterte: „Ja, aber natürlich habe ich mir in der DDR das Reden nicht abgewöhnt und das werde ich hier schon gar nicht tun“.

War das cool? Oder mutig? Nein, das war es nicht, sondern … wie würde man es einem Älteren am höflichsten sagen? … es war zumindest undurchdacht. Einem Gleichaltrigen oder Jüngeren würde ich sogar sagen: ziemlich dumm. Denn es ist ein gewaltiger Unterschied, ob in einer Diktatur Meinungsfreiheit verboten ist und Redeverbote erteilt werden, oder ob Rederecht in einem demokratischen Parlament lediglich nicht vereinbart ist. Im Bundestag haben sich die dort Tätigen ihre Geschäftsordnung irgendwann einmal selbst ausgedacht und sich freiwillig darauf geeinigt, sie auch einzuhalten. Dass dort nicht jeder nach Belieben reden kann, hat nur etwas mit der Gewährleistung der eigenen Arbeitsfähigkeit zu tun und nicht mit Verboten unerwünschter Meinungen. Der Vergleich mit der DDR war hier also ziemlich daneben.

Erwähnenswert bleiben bestenfalls ein an die LINKE gerichteter lustiger Spruch Biermanns, („Ja, Ihr wollt immer, aber Ihr könnt nicht“) und eine vielleicht teilweise haltbare Unterstellung („ich weiß ja, dass die die sich Linke nennen, nicht links sind, auch nicht rechts, sondern reaktionär“), aber ansonsten war diese Nummer alles andere als die heldenhafte Arbeit eines Drachentöters. Aus meiner Sicht am besten kommentiert wurde der ganze Vorfall in der TAZ.

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10 Comments

  1. Keine Heldentat aber Infamie

    Frank sagt :
    Wo sich Biermann und seine Fans allerdings täuschen: Es war keineswegs eine Heldentat von ihm, dort das Wort zu ergreifen.

    Der Mann hat ein großes Ego und ist eitel wie die meisten Künstler. Er hat einfach diese Gelegenheit beim Schopfe gefasst und das war es wert. Man betrachte sich nur die Mienen der Genossen.
    Aber Heldentat ? Wer schrieb oder sprach wo von Heldentat, das interessiert mich.

    Frank sagt :
    Aus meiner Sicht am besten kommentiert wurde der ganze Vorfall in der TAZ.

    Dort steht u.a. dieser Halbsatz :

    TAZ :… dass in der DDR allerhand schief gelaufen ist, zeigt sich ja nicht zuletzt daran, dass sie Gestalten wie Biermann hervorgebracht hat, …

    Finden Sie diese Infamie auch gut?!
    In diesem TAZ-Sinne hat die DDR auch Rentner hervorgebracht welche in den Westen durften unter Verzicht auf Staatsbürgerschaft und Rentenanspruch.
    Ebenso hat die DDR tausende von Poltischen Gefangenen hervorgebracht, welche für horrende Summen an den Westen verkauft wurden.

  2. Klar, der Biermann ist halt wie er ist, den kriegt man nicht gelenkt…
    Ich fand seine „Rede“ aber letztendlich doch cool, die SED-(oder wie auch immer die gerade heißen)Genossen waren pikiert und allein schon das war es wert!
    Man wünscht sich solche Worte eigentlich regelmäßig von den anderen Fraktionen…
    Den TAZ-Kommentar halte ich für… nun ja, TAZ-Niveau eben.

  3. @Michael-DD

    Aber Heldentat ? Wer schrieb oder sprach wo von Heldentat, das interessiert mich.

    In den im Netz sofort ausgebrochenen Diskussionen und Kommentierungen äußerten sich viele Biermann-Fans so, als sei das eine ganz mutige Sache von ihm gewesen. Und das TAZ-Zitat

    dass in der DDR allerhand schief gelaufen ist, zeigt sich ja nicht zuletzt daran, dass sie Gestalten wie Biermann hervorgebracht hat,

    passt als Reaktion einfach ganz gut, auch wenn es selbstverständlich übertrieben oder meinetwegen Infamie ist. Das muss er dann schon mal abkönnen, der Wolf. Wer austeilt … na, und so weiter.

  4. @Manni

    Man wünscht sich solche Worte eigentlich regelmäßig von den anderen Fraktionen…

    1. gibt es im Bundestag ständig immer mal wieder Sticheleien und Anfeindungen zwischen allen Fraktionen, oft auch gegen die LINKE. Insofern ist für solche Worte mehr als gesorgt, auch wenn die poetische Formulierung „Drachenbrut“ vielleicht nicht so oft darin vorkommt 🙂

    2. sollen die Leute im Bundestag gefälligst ihre Arbeit erledigen und nicht ständig überflüssige Sprüche klopfen. Die PDS (und damit nun die LINKE) hat sich selbst ausdrücklich als Rechtsnachfolger der SED erklärt. Insofern wäre es nun ziemlich überflüssig, geistlos und reine Zeitverschwendung, immer wieder anklagend zu sagen: Ihr seit die Rechtsnachfolger der SED! Ja, klar sind sie das. Wissen wir. Haben sie ja selbst gesagt. Welchen Erkenntnisgewinn sollten uns solche Sprüche bringen? Übrigens sind nach 1989 die meisten SED-Kader aus der SED ausgetreten. Die Leute, welche nur wegen der Karriere in der Partei waren, traten umgehend in die CDU ein. Muss man die nun auch als Drachenbrut bezeichnen?

    Den TAZ-Kommentar halte ich für… nun ja, TAZ-Niveau eben.

    Ich finde die TAZ gar nicht so schlecht, weil sie als linkes Medium auch immer mal wieder Momente hat, wo sie linke und grüne Positionen kritisch hinterfragt. Das macht sie dann oft konsequenter als andere Medien.

  5. Ich bin gerade über netzpolitik.org auf den Netzfrauen-Beitrag geschliddert. Und dann auf diesen Beitrag hier.
    Es fehlen hier zwei Beiträge zur Beurteilung von Biermanns Verhalten. Zum einen das Interview mit Richard Pitterle, in dem er erklärt, dass Biermann noch mal nachtritt nach einer anderen Veranstaltung eine Woche zuvor.
    http://www.deutschlandfunk.de/linkspartei-biermann-hat-ein-schwarz-weiss-denken.694.de.html?dram:article_id=302529
    Und der offene Brief des langjährigen Intimfeindes von Biermann Diether Dehm
    http://www.diether-dehm.de/index.php/positionen/948-offenen-brief-von-diether-dehm-an-wolf-biermann
    Schuld an dem einkalkulierten Skandälchen hatte Lammert ganz allein. Er hat dies voraus gesehen und gewollt.. Sonst hätte er sich einen netten Kinderchor und „Freude schöner Götterfunken“ eingeladen

  6. @ Biermann
    Und wenn er sang der Drachentöter,
    Wurd‘ manchmal auch sein Rachen röter 🙂

    Sorry, ich kann Biermann schwer ernst nehmen … mir kam’s heute mal so in den Sinn, dass 197 viele der Unterstützer in der DDR sicher gedacht und gesagt haben: „Naja, als Mensch kann ich ihn nicht so lange ab, doch eine Abschiebung geht eindeutig zu weit.“ 😉

    @ Dehm
    Naja, musikalisch liegt Dehm mir allerdings näher als Biermann …
    http://de.wikipedia.org/wiki/Diether_Dehm#Songschreiber

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