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Stanislaw Tillich, die Flutschutzmauer in Laubegast und das Ende der Demokratie

2013-06-07-zdfSächsischer Ministerpräsident schafft Demokratie ab! Solche Schlagzeilen sah ich sofort vor mir, als ich gestern im ZDF heute journal ein Interview mit unserem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich sah. Er beklagte darin, dass Hochwasserschutzmaßnahmen oft durch Bürgerinitiativen verzögert würden. Deshalb will er einen Gesetzesentwurf einreichen, mit dem man sich notfalls über den Bürgerwillen hinweg setzen kann. Das fand Marietta Slomka völlig falsch. Und mir geht es ebenso, denn ich musste sofort an die Diskussion um die Flutschutzmauer in Laubegast denken, die man dann auch gegen den Willen vieler Bürger bauen könnte.

Tillich warf hier mehrere Themen in einen Topf. Es entstand der Eindruck, dass alle benötigten Flutschutzmauern grundsätzlich überall längst als notwendig akzeptiert werden und man sich bestenfalls um Detailfragen der Umsetzung streitet, das dann aber umso verbissener. Und nun müsse der Staat ran, um solche unkonstruktiven Streitereien über Nebensächlichkeiten zu beenden.

Das ist ein wenig zu oberflächlich und vereinfacht, denn allein in Dresden gibt es zwei Flutschutzmauern, bei denen man sich nicht nur um Details streitet, sondern die von vielen Leuten grundsätzlich abgelehnt werden: In Laubegast und in Pieschen. Auch in anderen Orten ist nicht alles so einfach – wenn in Döbeln der Bau von zwei Rückhaltebecken verhindert wird, dann liegt das nicht nur an einzelnen grünen Wichtigtuern, die wegen “einiger schützenswerter Pflanzen” lieber ganz Döbeln überschwemmen lassen: Es geht um den Bau zweier ziemlich großer Dämme in Flächen, die als ausgewiesene Vorranggebiete für Natur und Landschaft gelten. Außerdem ist die Wirksamkeit der Rückhaltebecken umstritten.

2013-06-07_laubegast
Laubegaster Ufer

Teilweise kann ich Tillichs Vorschlag zwar folgen. Denn mancherorts werden tatsächlich Dinge endlos zerredet, die längst umgesetzt sein könnten. Man hat auch den Eindruck, dass heute schon rein obligatorisch bei jedem Vorhaben erst einmal eine ablehnende Bürgerinitiative entsteht, ohne dass das immer sehr durchdacht abläuft. Beim aktuellen Anblick von Laubegast bin ich mir auch unschlüssig, ob es wirklich so richtig war, die Hochwasserschutzmauer dort abzulehnen (das war mein Standpunkt). Und ja: Wegen angeblichem Naturschutz wird auch gern so einiges endlos verzögert (wir haben da in Dresden ein berühmtes Beispiel).

Trotzdem gefällt mir Tillichs Vorschlag überhaupt nicht, denn man könnte sich damit zu schnell über wirklich wichtige Entscheidungen hinweg setzen. Außerdem klingt es eigenartig, wenn er beschwichtigend darauf hin weist, der Gesetzesentwurf könne ja im Bundesrat immer noch abgelehnt werden. Besser wäre, wenn gar keine Gesetzesentwürfe erst eingereicht würden, bei denen es etwas zu beschwichtigen gäbe.

Das Interview im Wortlaut:

SLOMKA: Sie ärgern sich darüber, dass einzzelne Bürger oder Bürgergruppen in den letzten 10 Jahremn Hochwasserschutzmaßnahmen behindert haben und wollen ein Gesetzt in Angriff nehmen mit dem es dem Staat künftig leichter wird, so etwas auch gegen den Bürgerwillen durchzusetzen – also mehr Gemeinschaftsrecht, weniger Individualrecht – das heißt, Sie wollen die Mitbestimmung der Bürger außer Kraft setzen.

TILLICH: Nicht außer Kraft setzen. Wir haben das ja beim Verkehrswegebeschleunigungsgesetz im Bereich des Aufbau Ost seinerzeit sehr gut gemacht, wo Straßen gebaut wurden und trotzdem die Bürgerinteressen auch berücksichtigt wurden. Aber wir haben zu viele Institutionen, es dauern die Verfahren zu lange und zu Recht fragen die Bürger jetzt im Hochwasserfall: Warum habt ihr so lange gebraucht, um überhaupt etwas zu machen oder warum habt Ihr gar nichts gemacht? Weil die Diskussion darum geht, wie soll die Mauer aussehen, wie hoch soll sie sein, eigentlich ist unbetritten, dass man einen Schutz braucht und darüber sollte man dann auch entscheiden können und nicht darüber diskutieren sondern auch entscheiden können.

SLOMKA: Unumstritten scheint das aber nicht zu sein, es geht ja nicht nur darum, dass einzelne Bürger sagen, Ach ich hab jetzt keine Lust auf ‘ne Mauer, sondern das wird ja durchaus auch über die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen gestritten und infrage gestellt, dass dieses oder jenes wirklich sinnvoll ist, wenn dann der Staat sagt: Das ist uns egal, wir setzen uns darüber hinweg, wir wissen, was gut für euch ist … dann ist das auch ein Stück Bevormundung.

TILLICH: Nein, so ist es .. so ist es nicht gemeint, das weiß auch jeder, der Betroffenen … ich hatte gestern einen Besuch in Döbeln. Da haben wir eine Hochwasserschutzmauer gebaut und haben gleichzeitig gesagt, zum kompletten Hochwasserschutzkonzept gehören zwei Rückhaltebecken. Die werden zur Zeit durch einen Naturschutzverband behindert, dieser Bau dieser Rückhaltebecken, dementsprechend hilft die Mauer nichts und ich kann ganz einfach nicht verstehen, dass es da ist, dass da einige schützenswerte Pflanzen jetzt im Wege stehen um jetzt endlich diese Rückhaltebecken zu bauen, dort muss ein gemeinschaftliches Interesse da sein … und sonst wirkt die Hochwasserschutzmauer in der Stadt Döbeln nicht und wenn Sie sich die Bilder von Döbeln anschauen, dann werden Sie verstehen, was ich damit auch meine.

SLOMKA: Nun muss eine solche Gesetztesreform, wenn sie allgemein gelten soll auch verhältnismäßig sein – lässt sich das beziffern, können Sie einschätzen, an wie vielen Orten es wirklich an einzelnen Bürgern oder Umweltschützern liegt, dass kein Hochwasserschutz stattfindet?

TILLICH: Also wir haben in Sachsen eine Vielzahl von Beispielen dazu wo wir in den letzten Jahren diese Maßnahmen durchsetzen wollten, wir haben Planfeststellungsverfahren, die sehr lange gedauert haben und auch noch andauern … deswegen ja auch, eine Zahl der umgesetzten Maßnahmen … wir haben zur Zeit, glaube ich, 55 Verfahren parallel zu laufen und jeder fragt natürlich auch, wann werden diese Hochwasserschutzmaßnahmen denn jetzt auch wirksam? Und ich sagte, wir haben sowohl bei der Energiewende jetzt … also wie man so schön sagt, Beschleunigungsverfahren, wir haben das damals beim Verkehrsbeschleunigungsgesetz gehabt, und sowas wünsch’ ich mir natürlich jetzt auch, ich will die Bürgerinteressen oder die Bürgermeinuzngen nicht ausschalten sondern ich will nur ein verkürztes Verfahren, wo eben das Gemeinschaftsinteresse vor dem eigenen Interesse des Einzelnen steht.

SLOMKA: Lässt sich denn ein solches Gesetz, was Sie im Bundesrat einbringen wollen, auf Hochwasserschutz begrenzen oder gilt das dann auch für andere Baumaßnahmen, dass man da den Willen der Bürger leichter übergehen kann?

TILLICH: Nein, das kann man auch auf den Hochwasserschutz selbst begrenzen, wir haben das in Sachsen gemacht nach dem Frühjahrshochwasser 2006, damals haben wir einen Deicherlass gefertigt, ich war damals zuständiger Umweltminister, zum beschleunigten Bau ohne Planfeststellungsverfahren von Ausbau, Verbreiterung, Erthöhung von Deichen … wenn Sie einen Deich um 50 cm erhöhen wollen, müssen Sie ein Planfeststellungsverfahren machen, wenn Sie ihn verbreitern stabilisieren wollen, Sie brauchen einen Zuweg, um überhaupt an den Deich ranzukommen, müssen Sie ein Planfeststellungsverfahren machen … und das sind die Prozesse, die letztendlich am Ende eine solche Umsetzung behindern, also das heißt, wir brauchten hier wirklich Vereinfachungen, die uns das ermöglichen.

SLOMKA: Das liegt natürlich auch ein bisschen in der Demokratie, dass Dinge Zeit kosten und da sind’s dann auch nicht nur Bürger die nicht beschleunigen, sondern auch die Politik kann sehr langsam sein – wie schätzen Sie denn die Erfolgsaussichten Ihrer Initiative ein?

TILLICH: Ja, das ist auch Demokratie. Also ich meine, das ist ein Vorstoß unsererseits zusammen mit den anderen jetzt betroffenen Ländern, wenn wir dafür die Mehrheit bekommen werden, dann heißt das auch imjmer noch nicht, dass der Bundestag das beschlossen hat … auch das gehört zur Demokratie, da wird abzuwägen sein, wie weit im Prinzip wir dieses gemeinschaftliche Interesse letztendlich auch umsetzen können oder eben nicht. Und ich glaube, das gehört zur Fairness, dass, wenn jemand eine Idee bzw einen Vorschlag hat, dass darüber dann auch eine parlamentarische Beratung stattfindet und am Ende eine Entscheidung stattfindet. Wenn es nicht zum Erfolg führt, müssen wir mit den Gegebenheiten auch weiter umgehen, aber der Versuch ist es doch wert, wenn wir es nicht versucht hätten, hätten wir es letztendlich auch nicht verändern können


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4 Comments

  1. Zu Laubegast kann ich nicht viel sagen, aber hier in Pieschen dürften sich die Mauergegner inzwischen den Mund abgeputzt haben und in ihre knochentrockenen Loggias verkrümelt haben. Dieses ganze Demokratiegefasel ist neben der Sache. Es müssen intelligente Lösungen her. Es kann nicht sein, dass hier alle paar Jahre Sandsäcke geschleppt werden und die Betroffenen letztlich doch wieder vor dem Nichts stehen. Die Halb-und-Halb-Lösung in Pieschen, also niedrige Betonmauer mit Aufspundung, ist schon mal ein guter Kompromiss. Jedenfalls hat sie sich bewährt!

  2. Es kann nicht sein, dass hier alle paar Jahre Sandsäcke geschleppt werden …

    Ja, das ist auch alles richtig. Besser wäre, wenn man sich solchen immer wieder kehrenden Arbeitsaufwand, verbunden mit den vielen Einschränkungen und Verlusten, sparen könnte. Mir wäre es nur lieber, wenn es mit Vernunft ginge statt mit staatlicher „Bevormundung“. Schon klar – das liegt natürlich auch oft an den Gegnern, wenn Vernunft nichts fruchtet. Wie gesagt – irgendwie kann ich Tillich sogar verstehen, aber ich befürchte, dass solche Gesetzesvereinfachungen auch unangenehme Hintertüren mit sich bringen. Wenn es nur um vereinfachte Planungsverfahren ginge, wie sie von Tillich bei Veränderungen von Damm-Breiten usw. erwähnt wurden, dann wäre das aus meiner Sicht kein Thema.

    Gut zu hören, dass sich die Mauer in Pieschen bewährt hat! Wie ich gerade bemerke, hatte ich von Pieschen in den letzten Tagen gar nichts gelesen. Der funktionierende Schutz dürfte wohl der Grund dafür gewesen sein 🙂

  3. Tillich ist nicht allein unterwegs, in Bayern gibt es ähnliche Überlegungen.
    Vielleicht hat man sich 2002 in Laubegast zu sehr auf den Begriff Jahrhundertflut verlassen. Nach dem Motto „nach mir die Sindflut“ war man gegen die „Mauer“.
    Interessant zu wissen wäre wer ist für/gegen, also eine flächenmäßige Zuordnung. Da könnte man sicher schnell den Eigennutz Nichtbetroffener erkennen.
    Ich wäre auch dagegen, auf dem Weg nach Pillnitz an einer Mauer entlang zu radeln.
    Vielleicht ist die Pieschene Lösung angebracht.
    Falls es dann immer noch einer BI gelingt, daß zu verhindern sollte der Staat aber auch mal klare Kante zeigen dürfen; zur Erinnerung an die Jahrhundertflut :

    „Hiermit unterschreibe ich, daß ich gegen die Flutschutmaßnahme Xyz bin. Falls es der BI Abc gelingt diese zu verhindern, erkläre ich hiermit:
    Ich verzichte für die nächsten 100Jahre auf jegliche staatliche Fluthilfe in Form von Geldern, Sach- und Dienstleistungen für Objekte und Personen auf meinem Grundstück.
    Dieser Verzicht wird ins Grundbuch eingetragen“

    Vielleicht denkt man angesichts der gegenwärtigen Flut in Laubegast auch anders.

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