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Anti-Qualitäts-Journalismus

Eine sehr verblüffende Form von Journalismus ist mir heute bei der Presseschau in „6 vor 9“ (BILD-Blog) begegnet, wo man auf einen Beitrag von PANORAMA verwies. Ich habe selten eine derart dreiste Verdrehung von Interviewmaterial gesehen wie dort.

Das Magazin PANORAMA (ARD) schaue ich mir kaum noch an, seitdem mir dort immer wieder deutliche Unsachlichkeiten auffielen. In der Sendung vom 15. April 2010 haben die Produzenten aber noch eins drauf gesetzt. Im Rahmen von „60 Jahre ARD“ dachten sie, dass sie sich auch einmal selbst loben könnten und wollten deshalb in einem Beitrag zeigen, dass PANORAMA schon immer eine sehr subversive Sendung war, vor denen die Mächtigen dieser Welt ganz schön zittern. Weil man ihnen immer wieder mit brisanten Fragen auf die Nerven gegangen ist. „Tendenziös, unverschämt, einseitig: was Politiker über Panorama denken“ nannten die Produzenten ihren Beitrag, womit gemeint ist, dass Politiker diese Sendung mit diesen Attributen einstufen. Dummerweise ist der Beitrag tatsächlich tendenziös, unverschämt und einseitig.

Man muss die gezeigten Politiker nicht mögen. Leuten wie Stoiber, Kohl, Rüttgers, Koch, Oettinger sollte man schon kritisch gegenüberstehen und sie als Journalist entsprechend beobachten und befragen. Aber irgendwo gibt es auch noch ein Mindestniveau. Im Film werden immer nur herausgeschnittene Sequenzen gezeigt, in denen ein anscheinend kritischer Journalist den betreffenden Politiker zwischen Tür und Angel mit investigativen Fragen verfolgt. Und der Politiker will stets kein Interview geben. Schlimm!

Allerdings sind im Archiv von PANORAMA dann auch Beispiele zu finden, bei denen man sieht, dass die betreffenden Politiker durchaus schon zu Interviews bereit waren. Nur eben zu vereinbarten Terminen und nicht so überfallartig zwischendurch. Ein vernünftiges Interview wird vorher vereinbart und es werden die Themen abgesprochen, damit sich der Befragte inhaltlich vorbereiten kann. Überfälle mit Kamera und Mikrofon wirken zwar immer sehr investigativ, sind aber einfach nur unprofessionell. Denn es kommt sowieso fast nie etwas dabei heraus. Man hat zwar nachher toll wirkende Bilder, aber letztlich nur sinnlos Fahrt- und Arbeitszeitkosten vergeudet.

Die dreiste Verdrehung von Aussagen findet man, wenn man sich die Darstellung von Olaf Scholz („Manche Politiker werden sogar richtig böse“) ansieht und das nachher mit dem ungeschnittenen Original-Interview vergleicht. Denn er bemängelt eben gerade dieses Zerschneiden von Aussagen, das Herausreißen aus Zusammenhängen bzw. das Einfügen von Interviewschnipseln in andere Zusammenhänge. Und genau das tun die Produzenten mit seinen Sätzen.

Wenn man es so vergleicht, werden plötzlich alle Reaktionen der angeblich so bösen Politiker völlig verständlich. Selbst Kohl und Koch fand ich erstmalig sympathisch. Alle haben Recht mit ihrer Verhaltensweise. Denn sie sind einfach nur genervt von aufdringlichen Leuten.

Videos:

1 – Panorama vom 15. April 2010: „Tendenziös, unverschämt, einseitig: was Politiker über Panorama denken“

2 – Original-Interview mit Olaf Scholz

3 – Original-Interview mit Günther Beckstein

4 – und selbst Günther Oettinger hat sich bereits zu Interviews herabgelassen

6 Comments

  1. Politikergeschwurbel in voller Länge zu zeigen würde den Zeitrahmen der Sendung sprengen und die Quoten gegen 0 drücken. Schneiden auf relevante Passagen gehört dar zur Arbeit und ist OK.
    Was diese Selbstbeweihräucherung von Panorama allerdings angeht, das zeigt wie manipulativ Schneiden auch sein kann. Ich hab wirklich kopfschüttelnd vor dem TV gehockt…
    Mein Ex-Landesvater Koch wird mir dadurch nicht verständlicher, mir triefte nur die Eitelkeit von Journalisten aus der Glotze.

  2. „Schneiden auf relevante Passagen gehört dar zur Arbeit und ist OK“ – das ist klar. Aber es ist eben die Frage, welche Aussage man beim Schnitt übrig lässt bzw. welche damit damit erstellt wird.

  3. Einen unabhängigen Journalismus gibt es nicht. Gab es vielleicht auch nie. Das sich allerdings „seriöse“ Sendungen mittlerweile dieser Effekthascherei hingeben, wie man es früher nur von Boulevardmagazinen kannte, ist teilweise unerträglich.

  4. @Herr Teddy
    Zumindest haben sie nur um sich selbst getanzt.
    Das ist schon mehr als man heute erwarten kann, aber zu wenig um dem selbsternannten Anspruch zu genügen. ÖR halt…

  5. Naja – so ganz verallgemeinern mit „ÖR halt“ würde ich das noch nicht einmal. Auf den Privaten gibt es noch weniger Sendungen oder Magazine, die diskussionswürdige bzw. politisch informative Inhalte bringen. Einige Ausnahmeerscheinungen wie „Spiegel-TV“ gibt es zwar, aber grundsätzlich bin ich schon froh, dass es das ÖR gibt. Bei diesem gibt es zwar einerseits zu viele Sender*, aber andererseits stelle ich an mir fest, dass ich kaum noch die Privaten einschalte. Vor allem nicht, seitdem ich – Dank Digitalisierung – die Zusatz-Programme wie ZDF Neo, Ein Festival und wie sie alle heißen, empfangen kann.

    Ich denke, dass man bei einigen Polit-Magazinen im ÖR möglicherweise den Effekt beobachten kann: „Wir sind ja ÖR, also haben wir automatisch auch Niveau. Und müssen uns solches nicht erst erarbeiten. Lasst uns also mal etwas schlampiges zusammenschustern!“

    Und das ist der Fehler – an ihrem Niveau sollten sie schon immer wieder neu arbeiten!


    (* die gesamten Dritten sind seit der Deutschlandweiten Ausstrahlung nicht mehr regional. Abends senden sie häufig alle dieselben Talkshows. Das könnte man sehr zusammenlegen und nur WDR+NDR übriglassen und meinetwegen MDR für die Gewährleistung eines sanften Lebensabends unserer Rentner)

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