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13. Februar und web 2.0

Ich gebe es zu: Ich war weder bei der Menschenkette noch bei Blockaden in der Neustadt. Ich habe es  nachmittags nur online verfolgt und dabei zum ersten Mal einen Sinn in Twitter entdeckt. Ich las alles auf twiddern.de, dazu hörte ich den Live-stream von Coloradio. Der riss zwar ziemlich oft ab, wegen Überlastung der Server, aber dann fanden sich Unterstützer, die zusätzliche Kapazitäten bereitstellten. Den Livestream von der Menschenkette gab es von Dresden Fernsehen, von den ersten Videos auf YouTube erfuhr man über Twitter, von der Löschung derselben von YouTube auch … alles in Echtzeit sozusagen.

Nun hatte ich zwar kürzlich ein paar kritische Bemerkungen über gewisse linke Demonstrationstouristen geschrieben, aber als ich hier auf meinem bequemen Sofa sehr erleichtert hörte und las, der Naziaufmarsch sei abgesagt, schaltete ich gedanklich doch einige Schritte zurück: Da das eine wirklich tolle Leistung ist, nicht nur diesen Marsch verhindert, sondern die braunen Kameraden ordentlich demoralisiert zu haben, dürfen die Blockierer meinetwegen nun gern noch irgendwo ein Bierchen trinken und die Sache feiern. Der Marsch durfte laut Polizei nicht stattfinden, weil die Polizei nicht für die Sicherheit der Teilnehmer garantieren konnte. Das wiederum wurde von den Rechten (auch wieder in Echtzeit) im Netz so dargestellt, dass sie von „gewaltbereiten“ Linken gehindert würden. Naja … die meisten scheinen doch gewaltlos gewesen zu sein. Im Hechtviertel müssen allerdings ein paar Mülltonnen und Autoreifen gebrannt haben, was Anwohner laut Coloradio aber schnell wieder löschten. Ein Auto wurde umgekippt. Das soll zwar Nazis gehört haben, wodurch es aber trotzdem ein umgekipptes Auto bleibt.

Bei den Twittermeldungen kam natürlich auch jede Menge Unsinn und vieles, was immer nur wieder neu von anderen kopiert wurde. Manche Meldungen schaukelten sich gegenseitig hoch, wodurch es dann schon den ersten Toten gab. Das stimmte aber zum Glück nicht. Auf jeden Fall war es eine spannende Sache. Ich habe auch neue Begriffe gelernt, wie „unfollowen“ und „retweeten“. Unter den Twitternden war übrigens auch ein alter Bekannter, unser Herr Lohmeyer, der die Welt heute mit wichtigen Meldungen über Kernprobleme versorgte. Zum Beispiel, dass er sehr lachen musste, als vor ihm im Fleischer ein Typ mit Rastalocken etwas Vegetarisches wollte. Herr Lohmeyer hat eine etwas spezielle Art von Humor, über die man zum Beispiel auch bei diesem Eintrag grübeln kann … aber lassen wir das.

Eins ist jedenfalls klar – wenn der „Trauer“marsch der Neonazis heute verhindert wurde, dann zuallerletzt durch die Menschenkette. Damit will ich nicht das Engagement der Teilnehmer kleinreden. Es müssen sehr viele Leute dort gewesen sein, stellenweise standen die Teilnehmer mehrreihig. Viele von ihnen wollten sich anschließend noch mit bei den Blockaden beteiligen, kamen aber nicht über die teilweise gesperrten Brücken. Aber verhindert wurde der Marsch ganz klar nicht durch diese Kette, sondern durch die Blockaden in der Neustadt. Die Nazis standen hauptsächlich nur abgesperrt am Bahnhof Neustadt, müssen dabei ziemlich frustriert ausgesehen haben und teilweise setzten sie sich nach einer Weile – ziemlich undeutsch – im Bahnhof ins Warme zu Burger King.

Widmeten sich – außer Coloradio – auch andere Medien dem Thema? Der MDR beispielsweise sendete. Live. 2 Stunden lang. Vom Wasunger Karnevalsumzug.

In den ersten Presseschlagmitteilungen wurde dann erstaunlicherweise doch der Eindruck vermittelt, die Nazis seien durch die Menschenkette von Frau Orosz am Marschieren gehindert worden. Das ist ganz klar falsch, das sollte man ausdrücklich noch einmal festhalten. Hier mal nur stellvertretend eine dieser Meldungen: WELT online

Und wer sich fragt, wo diese Neonazis überhaupt immer wieder her kommen, woher diese Ansichten stammen – der braucht sich nur die Kommentare zu diesem Artikel durchzulesen.

Eine gute Übersicht zur Darstellung des 13.2. in der Dresdner Presse: Helma holt Heimsieg

One Comment

  1. „Ein Auto wurde umgekippt.“

    Es waren leider zwei Autos, die daran glauben mussten. Eines bei der Blockade auf der Hansastraße, was komplett auf dem Dach lag und eines auf der nicht weit entfernten Friedensstraße, seitlich gekippt.

    Es ist gut, dass du nochmal so deutlich herausstellst, dass die Menschenkette nicht wirklich daran beteiligt war die Nazis vom Marschieren abzuhalten.

    Ich wohne hinterm Neustädter Bhf und war so automatisch mitten in der Blockade Hansastraße. Zeitweilig wurde mein kleines Stück Straße komplett gesperrt und es gab ein paar eher harmlose Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und Polizei. Es war im Vergleich zu allen restlichen Tagen in Jahr ein Ausnahmezustand ohne gleichen mit geschätzten 2000 Leuten (und das war nur eine von 5 ständig besetzten Blockaden). Alles war, trotz der riesigen Masse an Leuten, ruhig. Es gab Tee und kleine warme Mahlzeiten für weit
    Gereiste und per „Linken-Mobil“ auch immer die neusten Infos von ColoRadio (vielen Dank auch nochmal an ColoRadio für eine recht gelungene Berichterstattung).

    [Wenn du möchtest kann ich dir gern ein paar Fotos zeigen, die ich machen konnte.]

    Schlussendlich muss ich aber eben sagen, dass die friedlich blockierende Masse an Leuten dafür gesorgt hat, dass niemand mehr marschieren konnte und schon gar keine Nazis, was ich und viele andere natürlich sehr begrüßten.

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