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Filmkritik: Wahlwerbespots der sächsischen Parteien zur Landtagswahl 2014

Heute soll es in diesem Blog einmal wieder um Kultur gehen, genauer gesagt um Filmkunst. Die sächsischen Parteien haben wegen der bevorstehenden Landtagswahl keinen Aufwand gescheut, um uns auch per TV mit händeringend erwarteter Wahlwerbung zu versorgen. Das Spektrum der Werke reicht von einfachem copy and paste bis hin zu hollywoodreifen Leistungen. Teilweise müssen anstrengende Castings und aufwändige Kostümentwürfe erforderlich gewesen sein. Vorgestellt werden die Filme hier in alphabetischer Reihenfolge – deshalb beginnt es mit der

AfD

Es mag dem jungen Alter dieser Partei geschuldet sein, dass sie im Video so einen schweren Anfängerfehler begeht – sie hat nicht bedacht, wer die Zuschauergruppe ihres TV-Spots sein wird: Menschen, die freiwillig MDR oder sächsische Lokalsender einschalten. Bei diesen Senioren wird nach dem Anschauen des Videos nur sinngemäß hängen bleiben, dass die AfD offenbar ihr beliebtes Musikatenstadl abschaffen will, denn dieses wird als Negativbeispiel für gebührenfinanziertes Fernsehen erwähnt. Durch diesen Fauxpas wird es nun sicher nichts mehr mit der Überwindung der 5%-Hürde – und das, obwohl die Prognosen bisher doch so vielversprechend waren!

Ansonsten hat die AfD vieles richtig gemacht: Man verwendet dramatische traurige Musik, mit der unterstrichen wird, was sämtliche anderen Parteien bisher alles falsch gemacht haben. Man lässt „Ganz-normale-Menschen“-Darsteller viele Fragen stellen, anklagende einfach gestrickte Fragen, bei denen der Ziel-Sachse automatisch „nu, genau so isses dor!“, nicken wird. Und ganz wichtig: Man vermeidet den Fehler, Antworten liefern zu wollen, wie man selbst all das besser machen, beziehungsweise wie man es konkret umsetzen wolle.

Denn dieser Fehler hätte nur schwierige Erklärungsprobleme ergeben. Zum Beispiel, woher die AfD eigentlich das Geld für die vielen angeblich zusätzlich benötigten Polizisten nehmen will? Oder warum die AfD gegen Mindestlöhne ist, während sie im Spot gleichzeitig Kinderarmut anprangert, sowie, dass manche Erwachsene nicht mehr ohne Zweitjob über die Runden kommen … das alles wäre sicher schon schwieriger zu erklären. Genau wie auch die Beantwortung der Frage, wie man die Millionenzahlungen für die Rettung der Sächsischen Landesbank abschaffen will, was im Spot ebenfalls angeprangert wird. Das würde sicher auch alle anderen Parteien interessieren, also die, die ja alles falsch machen, aber von denen zumindest manche diese Zahlungen sicher ebenfalls gern längst eingestellt hätten.

Ein kleines Manko bleibt beim Anschauen – man hat das Gefühl, dass der Spot unfertig ist, denn irgendwie erwartet man immer, dass jetzt gleich der gut integrierte und gut ausgebildete Ausländer auftreten müsste, der den mangelnden Integrationswillen anderer Ausländer anprangert.

(Das Video ist nicht mehr online. Vielleicht auch besser so.)

Die Grünen liefern einen eher schlecht gelungenen Wahlwerbespot ab. Er setzt zu sehr auf bekannte Klischees dieser Partei und schläfert dadurch schnell ein: Ein glücklicher Mensch ist in der Natur zu sehen, er fährt Fahrrad, er liebt diese Natur, er freut sich über die Vögel, die Frösche und Schmetterlinge, der Mann streichelt Bäume, Naturaufnahmen folgen auf Naturaufnahmen … doch Moment! Ist das nicht Stanislaw Tillich? Wieso nehmen die Grünen Tillich als Darsteller? Oder sollte das etwa gar nicht … Tatsache. Das ist ja der Spot der

CDU

Aber nun ist er schon fast vorbei. Was bleibt inhaltlich hängen, wenn man anschließend wieder aufwacht? Die CDU will zum Beispiel die Kinderbetreuung verbessern und junge Lehrer einstellen. Falls sich ein Zuschauer wundert, warum das nicht schon eher passieren konnte oder warum das jetzt so plötzlich machbar sein soll, während jahrelang kein Weg dahin führte – diese Frage wurde von Herrn Tillich selbstverständlich umfassend beantwortet, fiel dann aber dem Schnitt zum Opfer. Denn es hätte im Spot überhaupt nicht mehr zu den Aufnahmen der herzallerliebsten Schmetterlinge gepasst.

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DIE GRÜNEN

selbst haben bisher leider noch keinen Wahlwerbespot veröffentlicht, zumindest war nirgends etwas zu finden. (Siehe Nachtrag)

DIE LINKE

liefert ein Remake ihres Indianer-Klassikers „Wir sind die Roten“, der bereits 2004 entstand und damals leider etwas unbekannt blieb. Filmfreunde werden an der fast 1:1 umgesetzten Neuverfilmung dieses cineastischen Leckerbissens ihre Freude haben, zitiert er doch mit seiner fulminanten Bildsprache viele Elemente aus bekannten Meisterwerken, man wird zum Beispiel schnell Elemente von Sergio Leone entdecken, die Zeitlupeneffekte erinnern an … doch es soll an dieser Stelle nicht alles verraten werden. Positiv anzumerken ist auch, dass DIE LINKE hier Ideen anderer Parteien aufgreift. Während man in der Version von 2004 noch einen Inhalt lesen und so eine Botschaft entnehmen konnte („Sozial mit aller Kraft“), hat man hier eher das Konzept „Inhalte überwinden“ von DIE PARTEI übernommen. Durch diese inhaltliche Reduktion auf den Minimalismus, gar nichts mehr auszusagen, hält das Werk dem Betrachter Freiräume für eigene Gedanken offen. Der Film läuft noch bis Ende des Monats in ausgewählten Programmkinos.

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Bei der

FDP

hat man sich offenbar Gedanken gemacht, warum die CDU bei der letzten Bundestagswahl so gut abgeschnitten hat. Man fand die Lösung des Rätsels anscheinend in der genialen Kameraführung, die man bei dem Wahlwerbespot mit Angela Merkel anwandte. Dieses Konzept hat die sächsische FDP deshalb bei der Abbildung Holger Zastrows angewandt. Dass diese gewagten Videoeffekte den MDR-Zuschauer allerdings überfordern dürften, war den Entwicklern dieser Idee möglicherweise nicht bekannt, genau wie auch die eigentliche Entstehungsgeschichte der krassen Kamerabewegungen im Merkel-Video.

Inhaltlich geht es darum, dass man die FDP ganz einfach wählen muss – hier kommt also nach den bisherigen Werken endlich einmal eine klare Ansage. Unglücklich ist, dass Zastrow mehrfach betont, die FDP hätte „Biss“. Da muss er sich freilich nicht wundern, wenn beim Wähler wieder nur der übliche Lobbyismus-Verdacht hängen bleibt, weil diese Partei also ganz klar etwas mit Zahnärzten zu tun haben muss. Und von denen ist es ja nicht weit bis zu Apothekern und anderen Unternehmensbereichen.

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NPD

Diese Partei hat keinen eigenen Wahlwerbespot. Allerdings hat sich eine anonyme Gruppe von Satirikern den Spaß gemacht, einen angeblichen NPD-Spot zu produzieren, in dem die NPD mit ironischen Mitteln gründlich verhohnepiepelt wird. Das wird schon durch die lustige Musikauswahl angedeutet. Man sieht jemanden in einer Art Schweinchen-Kostüm durch die Gegend ziehen, der sich einbildet, der „Platzhirsch“ zu sein. Wer sich nun fragt, was ein Platzhirsch mit der NPD zu tun haben soll, bekommt zur Erklärung, dass sich die NPD einbildet, viele ihrer „Ideen“ wären von anderen Parteien aufgegriffen und umgesetzt worden, „weil die NPD richtig Druck gemacht“ hat. Humor, der auf derartig brachialer Art der Wirklichkeitsverdrehung aufbaut, mag zwar nicht jedermanns Geschmack sein, aber er sorgt doch für spontane Schenkelklopfer. Die Umsetzung ist sehr professionell gelungen, als Beispiel sei die filmisch meisterhaft umgesetzte Szene mit dem Einbrecher genannt.

Satirisch kein Highlight ist dagegen die Stelle, wo ein Mann mit ausgerechnet polnisch klingendem Namen als angeblicher NPD-Vertreter auftritt – so etwas ist ein ziemlich abgedroschener, niveauloser Gag.

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Piraten

Der Spot beginnt mit fünf Vertretern der Partei, die mit Mikro in der Hand bereit stehen, offenbar um ein Statement für dieses Video zu liefern. Warum das dabei entstandene Tonmaterial nicht verwendet werden konnte, bleibt unklar. Da die berühmte Bomber-Harris-Sympathisantin Anne Helm leider den Einzug ins Europaparlament nicht geschafft hatte, stand sie dadurch glücklicherweise als Sprecherin zur Verfügung und beschreibt nun mit großen Metaphern, was die Piraten in Sachsen außer der Magnetschwebebahn und dem Weltraumaufzug sonst noch für unrealistische Visionen haben. Konkrete Dinge, die mit der realen Situation in Sachsen etwas zu tun haben, bleiben – sicher nur aus Zeitmangel – unerwähnt.

Konsequenterweise wurde das Video über weite Teile mit der bei Piraten geschätzten „copy and paste“-Methode aus anderen im Netz verfügbaren Produktionen zusammengestellt. Ein sehr kleingeistiger Kritiker bemängelte hier, dass sich zumindest bei der Musik zeigt, dass die sächsischen Piraten die Anwendung unter Creative Commons stehender Werke nicht ganz verstanden haben, obwohl die Piraten doch stets betonen, dass CC viel einfacher und besser sei als alle anderen Lizenzformen. Die Lizenz „CC-BY-NC-SA“ der angegebenen Musik, so meinte der Kritiker, enthält „NC“ und „SA“. SA (seen as) bedeutet, dass man das Werk nicht verändern darf – ein Mix mit Sprecher und die Kombination mit Video ist aber definitiv eine Veränderung. Und ob ein Wahlwerbespot einer Partei nichtkommerziell (NC) ist, dürfte auch fraglich sein.

Doch solche Belanglosigkeiten lassen sich leicht vom Tisch wischen, wenn man die Piraten aus ihrem Video selbst zitiert:

„Wir sind die Querdenker, die Dinge anders sehen. Visionäre die sich in kein Schema pressen lassen. Idealisten ohne Respekt vor dem Status Quo. Piraten sind Rebellen die Regeln brechen.“

Wäre ja noch schöner, wenn sich Querdenker und regelnbrechende Rebellen ausgerechnet von so etwas wie „SA“ aufhalten ließen!

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SPD

Dieses radikale Werk ist ganz eindeutig fürs Kino konzipiert. Und zwar für die ganz großen Säle. Das sieht man schon am Format. 16/9 war gestern – hier wurde mit mindestens 160/9 gearbeitet, um viel Raum zu lassen für die Ausführungen von …

… ja, wer spricht da eigentlich? Ach so. Ein gewisser Martin Dulig. Er sagt seinen Namen gleich zu Beginn, weil er weiß, dass ihn niemand kennt. Er hat deshalb auch extra schon mit einer Aktion „Kennen Sie diesen Mann?“ an seiner Bekanntheit zu arbeiten versucht. Sicherheitshalber wiederholt er seinen Namen am Ende noch einmal für diejenigen, die ihn bereits wieder vergessen haben.

Doch ist das so wichtig? Soll man statt einer Person nicht eigentlich eine Partei namens SPD wählen? Wäre es nicht auch eine Möglichkeit gewesen, politische Erfolge der SPD in Sachsen zu erwähnen? Da wäre zum Beispiel …

… doch zurück zum Video. Wer die bisherigen schon gesehen hat, wird eine weitgehende inhaltliche Ähnlichkeit mit den Gedanken Herrn Tillichs bemerken, allerdings trägt Dulig denselben Text wesentlich engagierter vor. In der Schule würde er die bessere Note erhalten. Falls die Wahl für ihn doch nicht so gut ausgeht, sollte das zumindest ein Trost sein.

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Nachtrag, 13.8.: Einen Tag, nachdem ich diesen Artikel schrieb, veröffentlichten auch DIE GRÜNEN ihren Spot. Ehrlich gesagt, finde ich ihn regelrecht gut gemacht und will jetzt nicht noch krampfhaft daran herum kritisieren. Man könnte freilich fragen, wie denn das gehen soll, Stromproduktion aus Kohle durch solche aus erneuerbaren Energien zu ersetzen, man könnte fragen, wie man in der Landwirtschaft komplett auf  „ökologische“ Tierhaltung umsteigen könne und was man sich eigentlich unter „ökologischer Landwirtschaft“ vorstellen muss (das ist eigentlich ein Widerspruch in sich), aber lassen wir das mal. Hier ist er:

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15.8.: Auch DIE PARTEI hat nun einen TV-Spot veröffentlicht. Wie ich finde, ist er für eine Partei mit Satirehintergrund etwas enttäuschend geraten – da hätte ich witzigeres erwartet. Der Sprecher versucht, übertrieben zu sächseln und kann es nicht. Schade.

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16.8.: Was es mit den Mikrofonträgern am Anfang des Piratenvideos auf sich hat, erschließt sich hier [Update: Link nicht mehr verfügbar] – es gibt noch ein paar Videos mit persönlichen Statements. Über einige Ideen könnte man gern nachdenken (Beiräte in Altenheimen oder die Alternativstimme bei Wahlen) ansonsten hört man aber nur die von den Piraten gewohnten viel zu schwammigen Ansichten oder die üblichen Ideen, bei denen man sich automatisch fragt: Okay, und wer soll das bezahlen?

18 Comments

  1. Danke für den Hinweis“! Ich hätte mit meinem Artikel lediglich noch einen Tag bis zur Veröffentlichung dieses Spots warten müssen 🙂

  2. Hm … ziemlich schwache Leistung, dieser Wahlwerbespot von Die PARTEI, wenn man es aus Gesichtspunkten der Humorkritik betrachtet.

  3. Wieso heißt das hier „Halbwissen“? Mehr Wissen geht doch überhaupt nicht. Jedenfalls nicht zu diesem Thema.

  4. Der NPD-Spot ist keine Satire. Das ist der Original-Spot. Mit Original-„Spitzenkandidaten“.
    Bevor man etwas bewertet, sollte man recherieren.
    Das macht die NPD nicht besser.

    Grüße von einem „Die PARTEI“-Mitglied!

  5. Der NPD-Spot ist keine Satire. Das ist der Original-Spot.

    Ach, ernsthaft?

    (Dass ausgerechnet ein Mitglied der Satire-Partei solche nicht erkennt, enttäuscht mich jetzt ein wenig 😉 )

  6. Lieber Ironie-resistenter Stephan: Ja, es ist mir sehr wohl bewusst, dass das der Original-Spot der NPD ist. Aber da der so bescheuert geraten ist, hatte ich mich im Text entschlossen, in ironischer Weise zu behaupten, das könne ja nur satirisch gemeint sein.

    Herr Sonneborn wäre jetzt sicher etwas enttäuscht von Dir 😉

  7. Werter Frank,

    die absolut gelungene Ironie in den Bewertungen der Spots wird einem geradezu mit Baseballschläger ins Gesicht gestreichelt.
    Da allerdings osteuropäische Wandersatiriker den deutschen Markt gnadenlos überrennen, musste ich mich vor Billigironie schützen und habe eine Mauer errichtet. Um mich. Diese Mauer (offizieller Sprachgebrauch: Antisatirischer Schutzwall) ermöglicht es mir seither, sorbenfreier durchs Leben zu wandeln.
    Sollte ich eines Tages dieser meiner Mauer ein Update verpassen, werde ich jener ein Satireerkennungsprogramm hinzufügen. Versprochen.

    Bevor ich mich weiter der Erregung hingebe und dadurch möglichweise anfange hochdeutsch zu denken (jedoch im Ansatz scheitern werde, schade eigentlich), beende ich nun und wünsche noch einen schönen Tag.

    PS: Lass den GröVaZ ausm Spiel…

  8. Danke für die Blumen, ein bisschen was kann ich noch 😉
    Aber: „man hat das Gefühl, dass der Spot unfertig ist, denn irgendwie erwartet man immer, dass jetzt gleich der gut integrierte und gut ausgebildete Ausländer auftreten müsste, der den mangelnden Integrationswillen anderer Ausländer anprangert.“ – das war gewollt. Denn genau dieser Ausländer trat im Bundestagswahlspot auf: https://www.youtube.com/watch?v=6GemKdWc2kg

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