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Kritik zur Greenpeace-Studie “Tod aus dem Schlot”

2013-04-04-kraftwerkKraftwerk Jänschwalde verursacht 393 Todesfälle pro Jahr! Das behauptet zumindest die Greenpeace-Studie “Tod aus dem Schlot – Wie Kohlekraftwerke unsere Gesundheit ruinieren”. Ich will nicht behaupten, dass Kohlekraftwerke (KKW) keine Emissionen haben und dass sie gesundheitlich völlig unbedenklich sind. Aber ist es vorstellbar, dass in der Umgebung Jänschwaldes und der anderen Kraftwerke noch niemandem diese seit Jahren unerklärlich höhere Todesrate aufgefallen sein sollte? Es ist schon interessant, wie die Zahlen in der Studie zustande kamen. Bei den Werten ist immer nur die Rede von “Berechnungen zufolge”. Gibt es für diese angeblich höhere Sterberate im Umkreis der KKW auch in der Praxis Anzeichen oder gar Belege? Hat man für die Studie bei Meldeämtern Todeszahlen erfragt oder Ärzteverbände und Krankenkassen nach deutlichen lokalen Abweichungen für Atemwegserkrankungen, Herzinfarkte, Lungenkrebs oder Asthma befragt? In der Studie (S.21) wird exakt berechnet, wie viele zehntausend krankheitsbedingt verlorene Arbeitstage durch KKW entstehen. Hat man bei Krankenkassen nachgefragt, wie das mit realen Ausfall-Daten übereinstimmt?

Kein Wort dazu in der Studie. Es wird zwar auf vier andere Studien verwiesen, die höhere Krankheitsraten in KKW-Nähe belegen, allerdings stammt eine der Studien aus China, was nicht gerade für gute Umweltauflagen bekannt ist und eine andere Studie bezieht sich auf ein KKW in der Slowakei, in dem Kohle mit einem hohen Arsengehalt verbrannt wird. Es ist daher zweifelhaft, wie übertragbar das auf deutsche KKW ist.

Wie kommen die Zahlen in der Greenpeace-Studie zustande? Krankheits- und Todesmeldungen wurden nicht ausgewertet. Alle Zahlen basieren nur auf Computersimulationen. Greenpeace hat Emissionsdaten ermittelt und sie dabei gleich ein wenig nach oben korrigiert. Neue KKW, die (bis auf eine Ausnahme) jeweils nur geplant und noch gar nicht gebaut, geschweige denn bereits in Betrieb sind, wurden schon mit einbezogen (Studie, S.18, 25). Dadurch können sie immerhin bereits zusätzliche Todesfälle beisteuern, obwohl sie noch keinen Strom liefern. Außerdem hat Greenpeace laut eigener Aussage festgestellt, dass ca. 10 Prozent der gesamten Feinstaubemissionen aus Kohlekraftwerken nicht gemeldet werden, was also zu weiteren 10% Todesfällen geführt haben dürfte. Diese von Greenpeace zusammengestellten Emissionsdaten wurden als Ausgangswerte für die Simulation an der Universität Stuttgart verwendet. Von dieser stammen die berechneten verlorenen Lebensjahre und damit die Angaben über die jährlichen Todesopfer.

Hat man diese Ergebnisse dann wenigstens grob mit realen Daten über gehäufte Krankheits- und Todesfälle bzw. über deutlich kürzere Lebenserwartungen in den KKW-Umgebungen verglichen? Nein, auch darauf gibt es keinen Hinweis in den Texten. Man hat es nicht getan.

Damit könnte man das Thema eigentlich abhaken und vergessen. Interessant ist trotzdem, dass diese Meldung heute durch alle Medien ging. Sie wird nun bereits allerorts als Tatsache betrachtet. Kritisch hinterfragt wurde es nur in wenigen Fällen. Hat irgendwer nachgeforscht, mit welcher Methode man an der Universität Stuttgart eigentlich die Greenpeace-Daten konkret in Gesundheitsschäden umgerechnet hat? Dazu finden sich meist nur Formulierungen, es sei „mit einer sehr komplizierten Berechnung“ geschehen. Sollte man aber nicht auch die komplizierteste Berechnung mit der Realität vergleichen?

In der Studie wird die geografische Verteilung dieser errechneten Todesfälle sogar in einer Karte gezeigt (S.12). Das sieht gut aus, aber gibt es hier Übereinstimmungen mit realen Daten? Wenn es welche gäbe, hätte man es mit Sicherheit sehr deutlich erwähnt. Und selbst wenn es solche Häufungen gäbe, müsste man noch ermitteln, welche anderen Emissionen in diesen Gegenden auftreten. Das könnte man sehr gut über die interaktive Karte des European Pollutant Release and Transfer Registers sehen – man kann sich dort beispielsweise die Verteilung der Chemischen Industrie oder der Müllverarbeitenden Industrie anzeigen lassen.

Greenpeace verweist darauf, dass man sich auch auf Daten bezogen habe, die (S.9) aus einer amerikanischen Studie zum Sterberisiko durch Feinstaub stammen. Für diese wurden von 1982 bis 1998 etwa 500.000 Erwachsene in den USA beobachtet. Die so entstandenen Daten stammen damit aus dem vorigen Jahrhundert. Das ist nicht nebensächlich, denn gleichzeitig schreibt Greenpeace (S.7), dass heutige Kohlekraftwerke niedrigere Emissionen aufweisen als im vergangenen Jahrhundert. Kann man das dann so übernehmen? Außerdem wird erwähnt, dass deutsche KKW deutlich geringere Emissionen haben, als die neuen EU-Luftverschmutzungsvorschriften erlauben (S.7). Letzteres wird in der Studie übrigens so umformuliert: “Die Lage verschlimmert sich jedoch dadurch, dass die Regierung die Energiewirtschaft weiterhin mit weniger strengen Grenzwerten davonkommen lässt, als eigentlich möglich wären”.

Kritiker der Studie (logischerweise hauptsächlich Vattenfall, RWE und E.ON) bemängeln, dass Greenpeace in der Studie 95% aller anderen Feinstaubquellen (u.a. den Verkehr) ignoriert hat, denn lediglich fünf Prozent der gesamten Feinstaubemissionen in der EU stammen aus KKW. Aus ihrer Sicht ist die Studie daher wertlos.

Mache ich mich nun mit meiner Kritik in derselben Richtung zum Handlanger der KKW-Betreiber? Sollte ich deshalb noch einschränkend erwähnen, dass ich auch kein Freund der Energieerzeugung durch Kohleverbrennung bin? Landschaftszerstörung und so … ach, lassen wir das diesmal. Mir wäre es eben nur ganz recht, wenn Kritik an einer Sache auch seriös und belegbar wäre. Das hat Greenpeace mit seinem übertriebenen Alarmismus in dieser Studie nicht geliefert.


Nachtrag April 2014: Die Studie wurde offensichtlich zurückgezogen, denn sie ist nicht mehr online. Zumindest nicht mehr bei Greenpeace. Auch über die seiteninterne Suchfunktion auf www.greenpeace.de ist sie nicht mehr zu finden. Sie war wohl doch zu unhaltbar, immerhin gab es nicht nur von mir Kritik daran, z.B. auch hier und hier.

Update 2015: Sie ist doch wieder online.


Quelle: 

Greenpeace: “Tod aus dem Schlot – Wie Kohlekraftwerke unsere Gesundheit ruinieren” (Kopie)


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6 Comments

  1. Danke! Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich sehe diese Pseudo-Studie und auch die blödsinnigen Jubelmeldungen im »Handelsblatt« als Teil einer Kampagne der »Erneuerbare«-Energie-Lobby, die aufgrund des wachsenden Widerstandes in der Bevölkerung Angst um ihre Pfründe bekommt.

  2. schöner Artikel, einziger Kritikpunkt: „KKW“ für „Kohlekraftwerk“ sorgt bei mir dazu dass ich immer wieder geistig hängen bleib und „Kernkraftwerk“ lese. 🙂

  3. Ja, ich weiß – das passiert selbst mir beim Durchlesen. Und „Kern-Kraftwerk“ statt „Atom-KW“ wäre sogar die exaktere Bezeichnung für die Dinger mit den Brennstäben. Aber wie kürzt man dann Kohle-Kraftwerk korrekt ab? Deshalb bin ich bei dieser Abkürzungs-Variante geblieben.

  4. Ja, so sind sie eben. Auf der einen Seite die grünen Verteufler auf der anderen die christlichen Verkünder und Seligsprecher der BKW (?Braunkohlekraftwerke) .
    Sicherlich werden wir leider noch eine Weile mit den Mutterboden- und Vaterlandsverbrennern auskommen müssen. Aber da gibt es tatsächlich einen, der in den BKW die Rettung Europas vor den KKW (!Kernkraftwerken) sieht. http://www.sz-online.de/sachsen/tillich-atomstrom-durch-braunkohle-ersetzen-2546082.html Dass er damit die Beschleunigung der Tieferlegung seiner sorbischen Heimat billigt – na gut. Lieber keine Tür mehr als Windräder davor. Nur vielleicht gibt es auch unter Panschwitz-Kuckau Braunkohle? Täte mich interessieren, wie da seine Reaktion wäre.

  5. Noch `ne Studie
    Vor ca. 10Tagen schrieb die SZ ueber eine Studie von James Hansen (NASA), derzufolge mit AKWen in der Vergangenheit etwa 1 Mio Todesopfer vermieden worden sind infolge weggefallener Emissionen. Die SZ (Artikel leider online nicht gefunden) befuerchtete Aufwind fuer die Atom-Lobby und die Gruenen suchen nun das Haaar in der Suppe bzw. die Fehler in der Studie.

  6. mit AKWen in der Vergangenheit etwa 1 Mio Todesopfer vermieden

    Das hat eigentlich eine bestechende Logik, denn aus der „Tod aus dem Schlot“-Studie ergibt sich das ja indirekt selbst auch. Ich spüre Anwandlungen von Zynismus, aber: Gefällt mir!

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