Nur drei von fünf Sternen für die Doku „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“
Nun habe ich mir den von Arte nicht gezeigten Film „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ auch angeschaut. Mein Fazit ist gemischt. Mir sind negative Punkte aufgefallen, zum Beispiel der reißerische und ziemlich unsachliche Beginn. Dort kommt als Aussage herüber, dass die deutsche Literatur zu großen Teilen schon immer antisemitisch war, dass jedes Kruzifix ein Symbol für Antisemitismus sei und dass sogar das europäische Parlament latent so eingestellt sei. Im Film klingt es, als wären Linke überwiegend antisemitisch und das sogar noch viel mehr als die Rechtsradikalen. Das absurdeste ist die Behauptung, Kritik an Banken wäre versteckter Antisemitismus. Was für ein Unsinn!
Ein weiterer Kritikpunkt: Es geht zu großen Teilen im Film gar nicht um Hass auf Juden in Europa, sondern speziell um den Konflikt Gaza – Israel. Dass man um diesen Bereich nicht herum kommt, wenn man etwas zu dem Thema „Hass auf Juden“ produziert, ist klar. Doch wenn man es zu sehr ausdehnt, wie hier geschehen, kann man auch sagen: Thema verfehlt, denn Gaza und Israel liegen nicht in Europa. In Gaza wird das unkontrollierte Verschwenden europäischer Hilfsgelder kritisiert. Daran wird – und wahrscheinlich berechtigt – seit Jahren Kritik geübt, denn bei der Bevölkerung kommt kaum etwas an. Im Film wird als eine der wichtigsten in Gaza aktiven NGOs „Brot für die Welt“ präsentiert, deren Hilfe möglicherweise durch Korruption bei der Hamas landet. Ob das tatsächlich zutrifft, bleibt im Film aber unbewiesen, es wird nur als Vermutung geäußert. Für Gegendarstellungen von „Brot für die Welt“ ist keine Platz im Film. Als Fazit bleibt beim Zuschauer nur hängen, dass diese Organisation eine sehr negative Rolle zu spielen scheint. Ist „Brot für die Welt“ also antisemitisch? Wenn jemand in einem Antisemitismus-kritischen Film kritisiert wird, drängt sich der Gedanke ja auf. Das wäre in dem Fall zwar absurd und es wird im Film auch nicht ausgesprochen. Aber was soll dann diese Kritik in dem Film?
Das Thema wird aber auch in den Filmabschnitten verfehlt, die in Europa handeln. Denn sie zeigen ausschließlich antisemitische Vorfälle in Deutschland und Frankreich. Selbstverständlich ist es wichtig, sie zu erwähnen, aber Europa ist noch ein wenig größer. Was ist mit den südeuropäischen Ländern, was passiert in Osteuropa? Gibt es in Skandinavien Antisemitismus? In Großbritannien? Kein Wort dazu.
Jens Berger (ich wusste gar nicht, dass er wieder für die Nachdenkseiten schreibt) hat hier noch mehr Kritikpunkte aufgeführt, wobei ich finde, dass er selbst auch übertreibt. Was soll zum Beispiel der Vorwurf, der Produzent stamme aus dem Umfeld Henrik M. Broders? Darf jemand aus dem Umfeld eines Antisemitismus-Kritikers keinen Antisemitismus-kritischen Film produzieren? Ein „Machwerk“, wie Jens Berger schreibt, ist der Film nicht, denn er enthält auch viele sinnvolle bzw. wichtige Passagen. Bergers Text ist aber ein gut geeigneter kritischer Begleittext für alle, die möglicherweise zu viel Bedeutung in den Film interpretieren, nur weil er von den bösen Systemmmedien nicht gezeigt wurde.
Auf YouTube kann man den erwähnten Film ansehen. BILD hatte ihn nur 24 Stunden lang veröffentlichen wollen, was natürlich dazu führte, dass nun mehrere Leute den Film kopierten und bei YouTube einstellten. Das ist zwar illegal von denjenigen, aber so bekommt der Film nun wahrscheinlich mehr Zuschauer, als wenn Arte ihn einfach einmal mit gesendet hätte. Sehr schlau war das von Arte also nicht. Da sie schon ganz andere richtig schlechte Machwerke wie „Die Akte Aluminium“, „Gasland“ oder „Mit Gift und Genen“ gezeigt haben, wäre es auf einen weiteren, immerhin nur teilweise kritikwürdigen Film nun auch nicht mehr angekommen.
Die Begründung des WDR für die Nichtabnahme des Films: „In diesem Fall war von der ARTE-Programmkonferenz ein Film zum Antisemitismus in Europa genehmigt worden, bei dem ein Querschnitt verschiedener europäischer Länder vorausgesetzt war. Geliefert wurde jedoch ein Film, der das Thema Antisemitismus in Europa nur in Teilen behandelt und stattdessen einen Schwerpunkt auf die Situation im Nahen Osten legt. Damit weicht die Dokumentation deutlich von dem angemeldeten Programmvorschlag ab und erfüllt den von ARTE genehmigten Auftrag nicht. (…)“
Spiegel online: TV-Dokumentation zu Antisemitismus – Mit Elan ins Minenfeld
Inzwischen ist der Film auch in der ARD-Mediathek.
Filmkritik und Kritik der Kritik
Mein´s auch und betrifft einen Teil Ihrer Kritik. Davon später.
Wenn es für die verlogene und hetzerische Rede des Mamas-Chefs im Europa-Parlament standing ovation gibt und Martin Schulz das Ganze inspirierend findet, ist das Ganze mehr als beschämend.
Ansonst ist die Intro, gelinde gesagt, sehr polemisch und in der Wortwahl auch manchmal arg daneben:
Unzivilisiert? – mehr als das, aber Herzstück?!
Was Shakespeare betrifft, könnte man im „Kaufmann von Venedig“ mal nachlesen was dran ist an dem Vorwurf. Ansonst – was soll dieser Rundumschlag? Philosophen waren nie sonderlich zurückhaltend wenn es um die Auseinandersetzung mit anderen Denkrichtungen ging. Voltaire z.B. nannte den Koran „ein unsägliches Machwerk“. Ich habe noch nie gelesen, daß man ihn deswegen einen Antiislam-Bekenner nennt.
Bei den aufgeschlagenen Büchern zur Rassenlehre wird bei 0:03:47h auch ein Drittel Seite einer Bildergeschichte gezeigt. Ich habe sie vollständig gefunden bei Wilhelm Busch: Plisch und Plum, 5.Kapitel: Ein Jude, unsympatisch beschrieben und gezeichnet, wird von Hunden gebissen, überlistet diese und schlägt beim Hundebesitzer ein Schmerzensgeld raus. Tja was soll´s?! Die meisten Typen bei W. Busch sind nicht gerade Sympatieträger.
Den Filmabschnitt zum Gazastreifen fand ich auch zu lang, außerdem enthält er handwerkliche Fehler. Was der Mullah und die uniformierten Knaben bei MEMRI-TV sagen, bleibt einem des Arabisch nicht mächtigen unklar. Der Judenhaß der Araber und der Palästinenser wäre einer gesonderten Betrachtung wert, beziehen sie diesen doch aus dem Koran. Die Palästinenser haben diesen Haß samt Vernichtungswillen zusätzlich in ihrer Charta festgeschrieben.
Eine gesonderte Betrachtung verdienen m.M.n. auch die NGO´s samt Verbleib der Hilfsgelder, speziell die UMWRA.
Und richtig – es gibt auch Antisemitismus in Spanien, Norwegen und Rußland, nicht zu vergessen Polen.
Frank, Sie haben sich quasi als Korreferent für Ihre Kritik einen Jens Berger in´s Boot geholt. Der schreibt u.a.:
Dazu Wikipedia :
Davor gab es blutige Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung in Jerusalem 1920 und Jaffa 1921 sowie 1929 das Massaker von Hebron.
Ein Mann, der so einseitig und unwahr schreibt, macht es entweder aus Böswilligkeit oder er hat, was dieses Thema betrifft, nicht alle Latten am Zaun.
Broder machte sich über den Beschluß von arte, den Film nicht zu zeigen lustig.
Inzwischen soll er doch gezeigt werden. Presse-Erklärung WDR (Quelle: Achgut am 17.6.2017):
Danke für den ausführlichen Kommentar. So sehr wollte ich gar nicht ins Detail gehen, aber wie man sieht, hätte es sich gelohnt. Ich habe mir gerade einmal (seit langer Zeit) wieder die erwähnte Geschichte „Plisch und Plum“ angesehen. Abgesehen davon, dass die von Hunden gebissene Figur Kaspar Schlich in der Geschichte nicht ausdrücklich als Jude beschrieben wird, hat W. Busch in der Geschichte auch Kindes- und Tiermisshandlung propagiert (die Kinder und anschließend die Hunde werden geschlagen, was den erzieherischen Erfolg bringt). Solche Bücher sollten dringend verboten werden!
Interessant, dass der Film nun doch gezeigt werden soll (wobei ihn ja nun schon jeder gesehen hat). Mal sehen, was in der anschließenden Diskussionssendung passiert. Vielleicht wird das interessant.
Ich kann mich korrigieren. Die von BILD am 13.6.2017 in piratenhafter Manier gesendete Fassung der Dokumentation war wohl eine Rohfassung. Nachdem der Film 5 Monate gelegen hatte, wurde er danach eilends vom WDR mit Texttafeln und Lauftext versehen, um sich inhaltlich zu distanzieren bzw. zu korrigieren.
Broder nennt das betreuten Antisemitismus.
Hier eine Nachbetrachtung zur Affäre von Steinhöfel.
Interessant übrigens, daß gegen BILD nicht geklagt wurde.