|

Eine besondere Form der Argumentation

2013-11-30-artikelbildOkay, das etwas aus dem Ruder gelaufene Interview von Marietta Slomka mit Siegmar Gabriel ist nun schon wieder zwei Tage vergangen und damit internetmäßig abgehakt. Schnee von gestern. Darüber muss man nicht noch einen gefühlten tausendsten weiteren Artikel schreiben. Allerdings denke ich nun schon die ganze Zeit über eine der Fragen nach, die Slomka stellte und die Gabriel nicht wirklich beantwortete: Werden SPD-Mitglieder durch die geplante Mitgliederabstimmung nicht zu einer Art Wähler der bevorzugten Klasse? Ich zitiere Frau Slomka:

„Das aber heißt (…) wenn man in eine Partei eintritt, dann ist man sozusagen ein besserer Wähler, weil man nämlich noch ein zweites Mal abstimmen darf. Es gibt 62 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland, nur 470 Tausend SPD-Parteimitglieder und die haben jetzt viel mehr Einfluss auf die Bundesregierung und auch auf die Koalitionsverhandlung als normale Nichtparteimitglieder. Ist das wirklich ganz einwandfrei demokratisch(…)?“

Ich halte das für eine interessante Problematik. SPD-Mitglieder haben jetzt gegenüber uns normalen Wählern tatsächlich die zusätzliche Möglichkeit, auf die Regierungszusammensetzung Einfluss zu nehmen, indem sie dem Koalitionsvertrag zustimmen oder nicht. Ist das also undemokratisch, eine solche Parteimitgliederbefragung durchzuführen?

Man kann das so sehen, aber andererseits ist die Gegenposition nicht eindeutig falsch. Denn warum sollte die SPD ihre Mitglieder denn auch nicht befragen? Angenommen – egal wie unrealistisch das erscheint – die Piratenpartei wäre gewählt und Koalitionspartner geworden, dann hätten die dasselbe wahrscheinlich auf jeden Fall getan. Sie hätten die Basis um Zustimmung gebeten. Und bei den Piraten hätte das jeder als völlig selbstverständlich empfunden. Allerdings hätte es wie jetzt bei der SPD dieselbe Frage aufgeworfen, ob es demokratisch sei und insofern hat mein Vergleich mit den Piraten als Argument hier nur wenig Relevanz. Aber der Vergleich drängt sich immerhin auf.

Und Gabriel hat ja durchaus Recht, wenn er sagt:

„(…) wenn wir das so machen wie bei der CDU (bei der nur der Vorstand entscheidet, Anm. von mir), dann entscheiden ja noch weniger Menschen über das Schicksal der deutschen Demokratie“

Da hat er schon Recht, finde ich. Es ist völlig richtig, die Parteimitglieder zu befragen, schon um die Spaltung zwischen Basis und Führung auszugleichen. Gut so! Aber trotzdem entsteht der beschriebene Effekt, dass man so als normaler Wähler zum Wähler zweiter Klasse wird, da hat Frau Slomka auch Recht.

Was ist nun richtig? Sollte man als Wähler vor der Wahl noch in eine Partei eintreten, wenn man Wähler erster Klasse werden möchte? Aber in welche Partei? Sicherheitshalber in alle? Das wäre zwar unüblich und wird in keiner gern gesehen, aber man bräuchte ja nur für einige Wochen Mitglied zu bleiben … Aber im Ernst: Ich habe keine richtige Idee, wie die oben gestellte Frage korrekt zu beantworten wäre.


Übrigens bin ich der Meinung, dass Frau Slomka – soweit man das Wort bei diesem Interview überhaupt anwenden kann – größtenteils souveräner war als Gabriel. Sie wurde anschließend im Internet zwar überwiegend kritisiert, aber ich finde, genau so sollte kritischer Journalismus aussehen: Noch einmal auf das Thema kommen, wenn der Befragte ausweichend antwortet, unterbrechen und wieder auf das Thema zurückführen, wenn er vom Thema weg kommt, diskussionswürdige Punkte in seinen Sätzen entdecken und passende Fragen dazu stellen. Dass es so eskalierte, war eher Gabriels Schuld. Fragen immer nur mit „das ist doch Blödsinn“ zu beantworten und später oberlehrerhaft mit „ich erkläre Ihnen jetzt mal die Demokratie“ anzufangen … das kommt schon ziemlich überheblich rüber. Ich finde zwar, dass man schon einmal sagen darf, eine Sache sei Blödsinn oder Unfug, wenn es sich bei den Fragen um solchen handelt. Aber das war hier nicht der Fall, denn Frau Slomka stellte größtenteils einfach nur berechtigte Fragen.

Abschließend noch: Eigentlich wollte ich mir nur ein paar Notizen machen, als ich das Video auf YouTube sah, aber zum Schluss hatte ich fast den kompletten Wortlaut des Interviews als Mitschrift vorliegen. So bleibt man beim transkribieren in Übung und hier hatte ich sogar die neue Herausforderung der Textpassagen, bei denen sich zwei Personen ständig ins Wort fielen und gleichzeitig redeten. Und da ich das Video nun einmal als Text vorliegen habe, kann ich diesen hier auch noch mit einfügen. Textpassagen in Klammern sind von mir sinngemäß gekürzte Aussagen.


SLOMKA: Sie haben heute mit vielen Vertretern der Basis geredet und da gibt es noch so einigen Gegenwind. Ein Selbstläufer wird das wohl nicht, diese Befragung

GABRIEL: Da müssen Sie hier eben nicht zugehört haben (…) hier gab’s eine große Zustimmung (…) aber das hat man vielleicht in Mainz nicht hören können

SLOMKA: doch, (sie hat Mitglieder gehört, die gesagt haben, sie könnten nicht zustimmen, zählt Gründe auf, Mindestlohn nicht schnell genug u.a.) Sie haben sehr lange werben müssen unter Ihren Parteifreunden, dass es eigentlich keine Alternative gibt (…) also wenn das alles so klar wäre, dann müssten Sie sich doch diese Mühe gar nicht geben, so um Überzeugungen zu kämpfen?

Anmerkung von mir: Eine völlig berechtigte und naheliegende Frage! Es scheint außerdem tatsächlich viele SPD-Mitglieder zu geben, die den Koalitionsvertrag ablehnen wollen.

GABRIEL: (findet es angemessen, dass man Mitgliedern so etwas erklärt) und zweitens, wenn (verschiedene Gewerkschaften) den SPD-Mitgliedern die Zustimmung empfehlen, dann scheint das doch nicht ganz blöd zu sein, was wir machen und (FDP-Vorsitzende Lindner hat den Koalitionsvertrag als sozialdemokratisches Programm bezeichnet) (…) mache mir gar keine Sorgen. Hier in Hessen war‘s jedenfalls eine richtig fröhliche Veranstaltung … (es gibt viele Neueintritte in die SPD) bei uns kann man mitbestimmen …

Anmerkung von mir: Was interessiert uns die Meinung der FDP dazu? Die wittert selbst bei der CDU Sozialismus. Hat Gabriel keine eigenen Argumente?

SLOMKA: Stichwort Mitbestimmung: Eine solche Mitgliederbefragung ist ja ein Novum und es gibt durchaus verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, ob sich das eigentlich mit unserer parlamentarischen repräsentativen Demokratie verträgt (…) haben Sie sich solche verfassungsrechtlichen Bedenken gemacht?

GABRIEL: Nee, weil‘s ja auch Blödsinn ist, in der Verfassung stehen die Parteien drin, sie sollen an der Willensbildung des deutschen Volkes teilnehmen, es gibt das Parteiengesetz, das uns zur innerparteilichen Demokratie verpflichtet, das Parteiengesetz lässt uns natürlich offen, wie wir das machen. Und  wieso soll direkte Demokratie in einer Partei verboten sein? Den Verfassungsrechtler möchte er gern mal kennenlernen

Anmerkung von mir: Mit politischer Willensbildung des Volkes hat das doch gar nichts zu tun, wenn Parteimitglieder einen Koalitionsvertrag ablehnen können!

SLOMKA: Nee, das behaupten die gar nicht (…) sie weisen darauf hin, dass es kein imperatives Mandat gibt, dass die Abgeordneten (laut Paragraf GG) frei sind in ihrer Entscheidung, aber die SPD-Basis schreibt ihren Abgeordneten jetzt eigentlich vor, wie sie abzustimmen haben

Anmerkung von mir: Haarspalterei? Das würde eigentlich bedeuten, dass das gedachte Prinzip der Piratenpartei – Basis entscheidet, Abgeordnete setzen das um – nicht verfassungskonform wäre.

GABRIEL: Nee, das ist völlig falsch, was Sie sagen, sie schreibt dem SPD-Parteivorstand vor, ob er einen Koalitionsvertrag mit der CDU eingehen soll oder nicht (…) was ist daran auszusetzen, dass man mal die Menschen in einer Partei fragt (…) Was die SPD jetzt macht wird nicht nur gut gehen, sondern wird Schule machen (…) Leute die in eine Partei eintreten, die wollen doch nicht nur Beitrag zahlen, die wollen doch was zu sagen haben

Anmerkung von mir: Das hat Gabriel nun wieder recht.

SLOMKA: (unterbricht) Das aber heißt, das ist ja total interessant, was Sie da sagen, das heißt wenn man in eine Partei eintritt, dann ist man sozusagen ein besserer Wähler, weil man nämlich noch ein zweites Mal abstimmen darf als Nichtparteimitglieder, Es gibt 62 Mio Wahlberechtigte in Deutschland, nur 470 Tsd SPD-Parteimitglieder und die haben jetzt viel mehr Einfluss auf die Bundesregierung und auch auf die Koalitionsverhandlung als normale Nichtparteimitglieder. Ist das wirklich ganz einwandfrei demokratisch und jeder, der das in Zweifel zieht, redet Blödsinn?

GABRIEL: Na gut, wenn wir das so machen wie bei der CDU (nur Vorstand entscheidet, bei CSU ähnlich), dann entscheiden ja noch weniger Menschen über das Schicksal der deutschen Demokratie … Seien Sie mir nicht böse, Frau Slomka, aber ich kann die Argumente nicht wirklich ernst nehmen (erklärt Demokratie) besser wenn Mitglieder einbezogen werden … bei anderen Parteien entscheiden kleine Gruppen …

Anmerkung von mir: Da hat er zwar Recht, aber was interessiert uns hier, was andere Parteien machen? Eine solche Argumentation ist ein typisches Ablenkungsmanöver. Es geht konkret um das neue Verfahren der SPD und nicht darum, was andere Parteien alles nicht machen.

SLOMKA: Ich dachte eigentlich, dass in Deutschland alle Macht vom Volke ausgeht und dass das Wahlvolk entscheidet

GABRIEL: Ja, was macht’n dann die CDU (dort entscheiden noch viel weniger) Tun Sie uns den Gefallen und lassen Sie und den Quatsch beenden … (fangen an, sich gegenseitig herein zu reden)

SLOMKA: Dieser Quatsch wird von sehr ernsthaften Verfassungsrechtlern diskutiert und dem kann man sich dann ja auch mal stellen

Anmerkung von mir: Ob das mit dem Verfassungsrecht eher nebensächlich oder sogar nur juristische Haarspalterei ist, kann ich nicht beurteilen, aber es handelt sich anscheinend nur um wenige, konkret zwei Staatsrechtler, nämlich Prof. Christoph Degenhart und Christian Pestalozza.

GABRIEL: (leicht gequält)ja

SLOMKA: Aber lassen Sie uns noch über etwas anderes reden

GABRIEL: das mach ich doch gerade

SLOMKA: ja, wenn Sie sagen das ist Quatsch … das ist eine besondere Form der Argumentation. Aber wenn Sie Ihre Parteimitglieder so ernst nehmen …

GABRIEL: (gleichzeitig) Na, ich hab Ihnen versucht Frau Slomka, es wird ja nicht besser wenn wir uns gegenseitig … naja …

SLOMKA: (gleichzeitig) … wenn Sie Ihre Parteimitglieder so ernst nehmen

GABRIEL: (gleichzeitig) … wenn wir uns gegenseitig so behandeln …

SLOMKA: ich behandel Sie gar nicht, ich stelle Ihnen Fragen, die habe ich mir auch nicht ausgedacht …

GABRIEL: (gleichzeitig) ich nehme die Mitglieder der SPD ernst, weil ich der Vorsitzende der SPD bin. Und ich habe argumentiert, warum ich das nicht für sehr tragfähig halte und ich kenne auch keinen Verfassungsrechtler, der sich dieser Debatte öffentlich stellt.

SLOMKA: (gleichzeitig) Herr Professor Degenhardt schon und noch einige andere

GABRIEL: (gleichzeitig)  deshalb ist das doch Quatsch … in anderen Ländern … in andren Ländern …

SLOMKA: (gleichzeitig)  die stehen ja auch heute alle in den Zeitungen … aber die interessante Frage ist doch

GABRIEL: (gleichzeitig)  … das … Frau Slomka, das stimmt nicht, was Sie sagen!

SLOMKA: Doch! Das können Sie nachlesen!

GABRIEL: Es ist nicht das erste Mal, dass Sie in Interviews mit Sozialdemokraten nix anderes versuchen,

SLOMKA: Herr Gabriel … Sie werden mir jetzt bitte nichts unterstellen

GABRIEL: (gleichzeitig)  als uns das Wort im Munde rum zu drehen. Gucken Sie ins Parteiengesetz..

SLOMKA: Die Kritik, die ich genannt habe, steht in Zeitungen von Professoren, die darüber diskutieren und das ernst nehmen.

GABRIEL: Na, ich doch auch …

SLOMKA: … man muss das nicht so sehen, aber man kann drüber zumindest diskutieren

(kleine Pause bei beiden, Gabriel beruhigt sich in den folgenden Sätzen sichtlich)

GABRIEL: Na aber das würde bedeuten, das habe ich ja gesagt, dass (…) eine kleine Gruppe, ein Vorstand einer Partei entscheiden darf und eine große Gruppe in einer Partei darf nicht entscheiden. Das ist eine komische Argumentation und deshalb finde ich die Quatsch und wir müssen in der Frage ja nicht einer Meinung sein

SLOMKA: Nee, überhaupt nicht, es geht ja auch nicht um meine Meinung, ich trage ja auch Meinungen von Anderen an Sie heran

(beide sehen wieder fröhlicher aus)

SLOMKA: Aber wenn Sie Ihre SPD-Mitglieder so ernst nehmen, warum dürfen die dann eigentlich nicht auch über den Ressortzuschnitt und über die Köpfe der Ministerien entscheiden?

GABRIEL: Weil die SDP-Mitglieder, und zwar in ganz großer Zahl und darum gebeten haben, eine Sachentscheidung zu treffen und nicht über Personal. Ich respektiere, dass viele in den Medien sagen, wir wollen wissen, wer da was wird, aber in diesem Fall wollen nun ausnahmsweise unsere Mitglieder in der Sache debattieren und nicht über Personal und das respektiere ich. Mir wäre übrigens beides recht gewesen, aber ich respektiere die Auffassung meiner Mitglieder.

(Verabschiedung, Ende)