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Alltag in Talibanistan

Die Leute, die sich immer noch einbilden, unsere Soldaten könnten in Afghanistan irgendetwas bewirken, sollten sich folgende Sendung ansehen: 

(in ARD-Mediathek nicht mehr vorhanden – siehe Nachtrag)

Teil 1 (bei YouTube) 

Teil 2 (bei YouTube)

Man sieht, wie sich ein schwerbewaffneter Militärzug der internationalen Schutztruppe durch gefährliches Taliban-Land bewegt. 900 Soldaten sind im Einsatz, Hubschrauber geben Geleitschutz, die Kosten dieses Einsatzes betragen mehr als 1 Mill $. Sein Zweck: Lediglich Wasserflaschen für einen Vorposten liefern. Man sieht, wie offener Kinderhandel betrieben wird. Ein Vater verkauft seinen 11-jährigen Sohn, weil er zu arm ist. Man hofft beim Ansehen, dass die Käuferin tatsächlich eine reiche Frau ist, die selbst keine Kinder bekommen kann. Aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist der Junge angesichts seines Alters vielleicht für andere „Verwendungszwecke“ im Ausland vorgesehen.

Die Soldaten können zwar versuchen, Vertrauen in der Bevölkerung aufzubauen. Das wird aber erfolgreich ausgeglichen, indem Imame in den Moscheen offen den Widerstand gegen Ausländer predigen. Ein 35 jähriger Warlord prahlt vor der Kamera mit seinem Gebiet, hier sei alles sein Eigentum, nichts geschähe hier ohne seine Zustimmung. Dafür erpresst er von den Bauern Zwangssteuern, eine ertragreichere Einnahmequelle ist natürlich der Drogenanbau, an Straßenposten erpressen seine Leute von Auto-Fahrern eine „Straßensteuer“. Das perverseste an der Geschichte: Auch die Fahrzeuge der internationalen Schutztruppe müssen zahlen. Dafür werden sie nicht von Taliban überfallen. Das kostet 1300$ pro Fahrzeug, größere kosten 2500$. Pro Tag kämen 10 – 50 Fahrzeuge hier durch, erfährt man.

Man erfährt, wie „gut“ es um die Afghanische Nationalarmee bestellt ist: Die Moral der Truppe ist wegen der schlechten Bezahlung und der genauso schlechten Ausrüstung am Boden. „Bei den Taliban könnten wir das dreifache verdienen“, erklären Soldaten. Dann sieht man ihre billigen Fahrzeuge und macht sich Gedanken über den krassen Gegensatz zwischen diesen Bildern von simplen zivilen Pickups und der hochgerüsteten US-Armee. Vielleicht hätte man die Million$ von dem Wasserflaschentransport hier sinnvoller verpulvern können?

Es gibt in Afghanistan inzwischen einen regelrechten Volkssport der Kindesentführung. Einer dieser Kriminellen erklärt das Prinzip: Man entführt Kinder von reichen Afghanen. Manchmal scheint es auch Fehlgriffe zu geben, wenn man Kinder erwischt, deren Eltern gar nicht reich sind. Was passiert mit denen? Naja, denen werden die Augen ausgestochen und dann werden sie vor einer Klinik ausgesetzt. Aber manchmal hat so ein Kind auch Glück, weil es an die Taliban verkauft wird.

Woher die Taliban das Geld haben? Indem sie sich ganz genau so benehmen wie die Warlords. Sie sind gewöhnliche Verbrecher. Immerhin ist ihre Methode, Schutzgeld von den Bauern einzutreiben, etwas verfeinerter: Man kassiert „Stromgeld“. Natürlich produzieren die Taliban keinen Strom. Aber den zahlenden Bauern wird die Stromleitung dann nicht gekappt.

Fast versöhnlich mutet das Ende des Berichtes an: Da wird von einem fahrenden alten Panzer lediglich der Straßenbelag wieder aufgerissen, der kurz vorher von deutschen Steuergeldern in Ordnung gebracht wurde. Es gibt also auch vergleichsweise harmlose Ereignisse in Afghanistan. 

Aber noch nicht einmal gegen die können unsere Truppen etwas bewirken.

Nachtrag, 24.1.10: Ich habe gerade gesehen, dass links von PI (hier kein link) auf mich verweisen, worauf ich nicht gerade stolz bin. Als ich dort nachsah, woher das kam, fand ich die Quelle in folgendem Kommentar (Auszug): 

„Wollte gerade die Weltspiegel-Reportage: “ALLTAG IN TALIBANISTAN” (gesendet am 10.1.10) hier noch mal verlinken. Der 15 minütige Beitrag wurde aber aus der ARD-Mediathek entfernt u. ist auch sonst nicht im Netz zu finden. Auch der Afghanistanblog von Boris Barschow (Chef vom Dienst bei PHOENIX) hat keinen Beitrag zu der Reportage mehr online.“

Der Film ist tatsächlich nicht mehr in der Mediathek der ARD. Auch jeglicher Hinweis auf der website der ARD ist verschwunden. Dort wurde der Film aber kurz nach der Sendung noch beschrieben, was ich selbst gesehen hatte. Erstaunlich fand ich bereits damals, dass zwar sämtliche Aussagen des Films dort auch als Text wiederzufinden waren, allerdings mit einer Ausnahme: Die auch von den Schutztruppen zu zahlenden „Straßensteuern“ wurden da mit keinem Wort erwähnt! Was sagt uns das?

Nachtrag, 25.1.10: Im Blog von Ronnie Grob (dem ich die Hinweise auf YouTube verdanke) fand ich auch einen schon älteren Hinweis auf solche „Straßensteuern“:

Times, 12.12.2008: Taleban tax: allied supply convoys pay their enemies for safe passage

Nachtrag, 27.1.10: Auf Anfrage bei der Redaktion Weltspiegel erhielt ich die Antwort: „vielen Dank für Ihre E-Mail. Leider durften wir diesen Beitrag aus rechtlichen Gründen nur einen kurzen Zeitraum in der Das Erste Mediathek zeigen – dieser ist bereits abgelaufen.  Viele Grüße,  Das Team der DasErste Mediathek“

letzter Nachtrag (28.1.10):  Ich nehme meine Verschwörungstheorie zurück – da wurde anscheinend tatsächlich Material vom Schweizer Fernsehen verwendet:

http://videoportal.sf.tv/video?id=b862eb35-cca6-40db-9aa9-d0155b29a976

10 Comments

  1. Das errinert mich irgendwie stark an Sodom und Gomorrha… Was ist da nur los? Da ist man heilfroh, dass man in Deutschland ein „intaktes“ Polizeisystem hat…Dieser Bericht ist einfach nur erschütternd!

  2. also ich habe den Beitrag auch gesehen,und so ausführlich wie du den beschreibst brauch man den gar nicht anguggen……….

    nur eines glaube ich denen nicht–>das die Truppen den Wegezoll an diese Wurst bezahlen !!

    grussi……….

  3. Ich hoffe auch, dass der Typ da nur herum prahlen wollte, denn wenn es so wäre, also – das wäre ein echter Skandal! Interessanterweise wird das auf der website der ARD, wo der Beitrag vorgestellt wird, auch gar nicht erwähnt. Keine Ahnung, was uns das nun sagen soll …

  4. Wir machen uns da unten total zum Affen. Ich bin 100% für diesen Einsatz, aber so wie er durchgeführt wird haben wir Westler in dieser Region für die nächsten 200 Jahren unseren Ruf als Witzfiguren der Geschichte zementiert.

    Die größten Mächte der Welt kriechen vor ein paar dahergelaufenen Hinterwäldlern mit Kalaschnikov auf Knien. Gott, was für eine unglaubliche Schande…

  5. Ist übrigens mit Abstand das krasseste über Afghanistan, das ich jemals gesehen habe. Aprilscherz? Ja. Satire? Ja. Aber Realität? Unglaublich.

    -sodala

  6. Weil’s zum Thema passt …
    „So nah am Tod – Afghanistan im zehnten Kriegsjahr“
    Montag (21.11.2011), 22.45 Uhr, ARD

    Bin bei Spiegel-Online drüber gestolpert … beim Lesen eines Artikel mit dem äußerst sinnvollen Titel „Dieser sinnlose, notwendige Krieg“

    Da könnte ich fast schon wieder „Fan“ von Militär und Teilen der Politik werden, die diesem Krieg wenigstens noch einen Sinn geben – unabhängig davon, ob ich diese Sinngebung teile oder nicht.

    Hmm, wie hieß es so schön „Spiegel-Leser wissen mehr …“ – naja, muss ja nichts über die Mitarbeiter des Spiegel aussagen 🙂

  7. Na ein Glück, dass ich das noch rechtzeitig gelesen habe! Ich hatte vorhin hier zwei neue Kommentare bemerkt und zunächst gedacht, „les‘ ich morgen“ … Da wird der Fernseher also – anders als geplant – heute nochmal aktiviert. Danke für den Tipp! Bis dahin vertreibe ich mir die Zeit noch mit schöngeistiger Musik (Kate Bush, 50 Words for snow) und gepflegter Lektüre („Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär“ von Herrn Moers). Letzteres hat zwar mit dem Thema Afghanistan nichts zu tun, aber wir Blogger wollen ja – wie die Piraten – stets auch Transparenz umsetzen 😉

    Der Titel des SPIEGEL-Artikels ist übrigens wirklich etwas seltsam …

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