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Die Waldschlösschenbrücke hält geistig wach

Als Dresdner muss man aufpassen, dass man nicht die Übersicht verliert. Ständig stehen Themen an, zu denen man Stellung beziehen muss; bei denen man ganz klar dafür oder dagegen sein muss. Was hatten wir da nicht alles schon! Man kann sich das fast nicht mehr alles merken – momentan ist es auf jeden Fall das Gewandhaus , der Straßenbahnpalast am Postplatz, natürlich seit 17 Jahren unsere berühmte Waldschlößchenbrücke und heute habe ich etwas ganz Neues entdeckt: Der Wilsdruffer Kubus. Ein sehr anmutiges Bauwerk, welches gegenüber dem Dresdner Zwinger entstehen soll. Dazu liest man: „Die Arbeit überzeugt durch die Stringenz der gerasterten, angenehm richtungslosen Fassadengliederung…“ Wohltuender hätte man die DDR-Plattenbau-Siedlungen auch nicht beschreiben können. Jedenfalls ist sicher schon die obligatorische Bürgerbewegung in Dresden entstanden, die das verhindern will. Wenn man, so wie ich, einem bestimmten Kulturkreis angehört, der sich als politisch links, oder zumindest alternativ oder zumindest irgendwie kulturell-oder-sonstwie-interessiert einstuft, dann ist es wirklich wichtig, immer die richtige Position zu beziehen und den Überblick nicht zu verlieren. Deshalb habe ich mir nun eine Datenbank angelegt: Waldschlösschenbrücke-dagegen, Postplatz-(leider schon gebaut), Gewandhaus-dagegen. Neue Datensätze kann ich jederzeit anlegen.

Wichtig ist, immer zu verfolgen, ob und wie sich die Gegen-Argumente ändern. Gerade bei der Waldschlößchenbrücke wäre das sonst gar nicht mehr rekonstruierbar. Da kann man ganz schnell den Anschluss verloren haben: Jetzt haben ein paar Leute eine 300 Jahre alte Buche bestiegen und damit besetzt. Da muss ich dafür sein. Hier gibt es glücklicherweise einmal eine Überschneidung der Interessen, da ich tatsächlich dafür bin, keine Bäume zu fällen. Ich wohne am Elbhang, und meine (ansonsten wirklich sehr sympathischen) Nachbarn finden jedes Jahr irgendwo Gründe, den einen oder anderen Baum zu fällen: Der hier ist doch bestimmt morsch, der blockiert den Lichteinfall auf die Erdbeeren, ich habe nun mal eine Holzheizung… Ja, sie haben ja immer irgendwie recht, aber so frisst sich die Zivilisation immer weiter mit kleinen aber bestimmten Schritten in die letzten Wälder hinein. Das sollte man schon verhindern. Und nun sitzen ein paar Leute auf und unter der Buche auf der Angelikastraße. Ok, ehrlich gesagt kann ich das nun gerade gar nicht ernst nehmen, denn das ist kein Baum in einem Wald, sonder einer an einer Straße. Und solche sind von Menschen aus irgendwelchen Gründen gesetzt und immer in Gefahr, von anderen Menschen aus anderen Gründen wieder gefällt zu werden. So toll sieht der Baum auch gar nicht aus. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man nach dem Fällen beim Zählen der Jahresringe entdeckt: War doch nicht 300 Jahre alt. Nur 240. Ist aber letztlich völlig egal. Die Baumbesetzter wissen ohnehin, dass der Baum definitiv gefällt werden wird, ihre Aktion wird gar nichts verändern. Schon gar nicht am Bau der Brücke. Außerdem war schon lange klar, dass für diese Brücke eine ganze Reihe Bäume gefällt werden müssten. Die meisten sind bereits weg. Und wieso soll ein älterer Baum eigentlich mehr Bedeutung als ein jüngerer haben?

Moment mal – höre ich hier etwa von mir selbst Kritik an den Brücken-Kritikern? Ich bin doch DAGEGEN! Puh… Da muss man aufpassen. Erst kürzlich, ich war abends bei jemandem eingeladen, wir saßen so am Feuer und dummerweise kamen wir auf die Brücke. Und jemandem rutschte eine Bemerkung haraus, die man als Brücken-Befürwortung einstufen konnte. „Also saaag mal…!“, war die entsetzte Reaktion seiner Frau. Auch wir anderen guckten ordnungsgemäß betroffen. Es war als hätte er gesagt, „also Sex mit Kindern wäre schon mal überlegenswert“.

Auf jeden Fall ist das eine feine Sache für mich, die Stadt und für unsere Nachfahren. Ich bin gezwungen, am Ball – also geistig aktiv zu bleiben, in der Stadt ist immer was los, bei einschlafenden Partys muss man nur „Waldschlösschenbrücke“ sagen, um eine zünftige Prügelei zu entfachen und unsere Nachfahren können ein paar lustige Anekdoten erzählen, wenn sie auf der Waldschlößchenbrücke im Stau stehen.