Aber auch Jan Böhmermann soll sich nun bitte nicht künstlich aufregen

Jetzt noch etwas zu Böhmermanns Schmähgedicht zu schreiben, ist doch zu spät, oder? Die Sache ist mehr als eine Woche alt, also „durch“. Aber ich finde das Thema trotzdem immer noch interessant, vor allem wegen der Reaktionen. Die meisten Kommentatoren scheinen die komplette Sendung gar nicht gesehen zu haben, was aber wichtig wäre, wenn man darüber reden will. In der Mediathek ist nur noch die Version der Sendung, aus der man alles sauber entfernt hat, was mit dem Schmähgedicht zu tun hat, also auch die Einleitung und der Nachtrag. Auf YouTube konnte man zwar bald das Gedicht sehen, allerdings auch nur ohne die vorherige und folgende Passage.

Natürlich ist das Gedicht – aus dem Kontext genommen – dumm und beleidigend. Aber man sollte beim Ansehen eigentlich erkennen, dass da etwas fehlt. Spätestens Ralf Kabelkas missbilligendes Kopfschütteln zeigt das.

Die komplette Passage zeigt: Es ging genau darum, zu zeigen, was eben nicht geht. Böhmermann beginnt mit einer Ansage an Erdogan, dass es hier in Deutschland einerseits zwar so etwas wie Meinungsfreiheit gäbe, Artikel 5 Grundgesetz und so, weshalb Erdogan die Satire von Extra 3 schon ertragen müsse. Andererseits, so Böhmermann, gibt es aber auch Sachen, die hier nicht erlaubt sind. Schmähkritik nennt man das. Böhmermann und Kabelka erklären daraufhin: So etwas liegt vor, wenn man Leute diffamiert, wenn man nur so unten rum argumentiert, wenn man sie beschimpft und mit privaten Sachen herabsetzt oder herabwürdigt. Das ist auch in Deutschland nicht erlaubt. Das kann bestraft werden und dann können auch Sachen gelöscht werden. Aber erst hinterher, nicht vorher. „Wir erklären das an einem praktischen Beispiel … das was jetzt kommt, das darf man nicht machen.“

Darauf folgt das Gedicht, immer wieder unterbrochen von Böhmermanns und Kabelkas Erklärungen „Sowas darf man nicht machen“. Nachher, an das Publikum, gerichtet: „Nicht klatschen!“, gefolgt von Erörterungen, was nun passieren könne. Unter Umständen nimmt man es aus der Mediathek, erklärt Kabelka. Und genauso kam es dann ja auch.

Ist das lustig? Ich tendiere etwas unentschlossen zu „ja“, aber man kann das natürlich auch anders sehen. Das haben Witze nun einmal so an sich. Satire ist es natürlich nicht und man kann sich darüber streiten, ob das unbedingt sein musste. Satire war eher die Reaktion des ZDF, welches auf Twitter meldete: „Die Parodie über Erdogan entspricht nicht den ZDF-Ansprüchen an Qualität von Satire.“ Das ZDF hat also Ansprüche an die Qualität von Satire? Jede Ausgabe der heute show wirft da so einige Fragen auf – insofern war dieser Tweet Realsatire vom Feinsten.

Die peinliche Reaktion Merkels darauf wurde schon ausgiebig kommentiert, ich verweise deshalb stellvertretend nur auf einen Artikel von Henryk M. Broder. Aber ziemlich absurd war nun auch Böhmermanns Reaktion, deshalb seine Teilnahme an der Grimme-Preisverleihung abzusagen. „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe. Mein Team von der Bildundtonfabrik und ich bitten um Verständnis, dass wir heute Abend nicht in Marl feiern können.“ Wovon ist Jan Böhmermann denn nun erschüttert? Dass man seine Produktion aus der Mediathek entfernt hat, obwohl er genau das selbst vorhergesehen hat? Dass sein Gedicht Ärger hervorrief, obwohl es genau darauf angelegt war, solchen zu provozieren? Dass die Staatsanwaltschaft nun gegen ihn ermittelt, obwohl er Erdogan selbst erst beschrieb, exakt so, also über den juristischen Weg vorgehen zu müssen? Und was hat der Grimme-Preis damit zu tun?

Irgendwie schießen hier wieder einmal alle übers Ziel hinaus. Aber das ist ja der Normalzustand.


Böhmermanns Sendung ist übrigens eine der wenigen Humor-Sendungen, die ich mir im Fernsehen noch ansehe. Auch wenn man als Dresdner da gelegentlich etwas leidensfähig sein muss. Auch wenn Böhmermann durch ständige Wiederholung bereits erzählter Gags meine Geduld manchmal etwas strapaziert. Böhmermann hat Talent, von seinem Team entstanden immer wieder richtig gute Sachen. Und sehr angenehm finde ich, dass er nie behauptet, seine Sendung sei eine Satire-Sendung. Er spricht selbstironisch nur davon, es sei eher „so eine Quatsch-Sendung“. Ja, das trifft es und das ist auch nichts Negatives. Es muss ja nicht jeder Witz gleich Satire sein. Dass es zwischen echter Satire und einfachen Witzen Unterschiede gibt, wird ja oft vergessen. Gelegentlich kommt bei Böhmermann auch echte politische Satire vor. Und wenn die andere, von mir noch regelmäßig gesehene, Humor-Sendung „Extra 3“ ehrlich wäre, würden sie sich genauso einstufen: Quatsch-Sendung mit gelegentlichem Satireanteil.

6 Comments

  1. Ein Streber

    Vorneweg : Ich habe bei Böhmermann einige Male reingezappt und danach beschlossen ihn nicht zu mögen und seine Sendung zu ignorieren.
    In einer Zeit da alle Welt Erdogan zu Recht kritisiert meint Böhmermann noch eins drauf setzten zu müssen. Auch das Konstrukt mit dem vorausgeschickten disclaimer „So was darf man in Deutschland nicht“ entschuldigt nicht, ist es doch Kalkül zum Gig. Er wollte beleidigen um in den Öffentlich-Rechtlichen aufzufallen. Das Publikum ist amüsiert und Böhmermann lacht selbst über seinen Unrat. Wären die ÖR eine Schulklasse würde man ihn den Streber nennen.
    Die GEZwangsfinanzierten Anstalten bringt solche Typen hervor.

  2. Er hätte ein Schmähgedicht über eine fiktive Person machen können, dann hätte es auch keine Probleme gegeben. Es war undurchdacht (man könnte auch sagen: dumm) von ihm, das Gedicht auf Erdogan zu beziehen. Ich halte ihn trotzdem für jemanden mit Potential als Unterhaltungskünstler. Mit GEZ hat das aus meiner Sich nichts zu tun, denn Joko und Klaas machen verglechbare Sachen wie er im Privatfernsehen. Auffallen wollte Böhmermann damit aber sicher.

  3. Ich möchte über Böhmermanns Potential nichts sagen – aber seine Methoden finde ich falsch. Aufmerksamkeit um jeden Preis bei sehr wenig Substanz.

  4. GEZ-Gelder + Mut

    Michael_DD: Die GEZwangsfinanzierten Anstalten bringen solche Typen hervor.

    Frank:
    Mit GEZ hat das aus meiner Sicht nichts zu tun, …

    Daß es sich gut leben lässt wenn man an den milliardenschweren GEZ-Töpfen sitzt ist doch klar. Ein Beispiel sind die Schauspieler der vielen Serien, welche mit Geldern der ÖR produziert werden. Ich denke da an diverse Kriminalkommissarinnen, die auch am Schreibtisch die kiloschwere Pistole im Holster haben. Die Serie „Mord mit Aussichten“ nehme ich aus, die nehmen sich selbst auf die Schippe. Das Gegenbeispiel sind zahlreiche Schauspieler welche sich nach einem Dreh arbeitslos melden müssen. Da klingt jetzt reichlich OT, aber was ich damit sagen will : Es ist schon hilfreich wenn man, bei den ÖR angestellt, ab und an „Haltung zeigt“, „Zeichen setzt“ oder gar einen „Aufstand der Anständigen“ ausruft.
    Ein Beispiel ist Anja Reschke, welche sich mit dieser Rhetorik

    Anja Reschke: Wenn ich jetzt öffentlich sage: Ich finde, Deutschland soll auch Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen – was glauben Sie, was dann passiert? Ich bekäme eine Flut von Hasskommentaren. ‘Scheiß Kanacken, wie viel wollen wir noch aufnehmen, sollen abhauen, soll man anzünden …’, all sowas halt. Wie üblich.

    einen Shitstorm organisierte, aber auch viel Zustimmung bekam, und für ihren Mut einen Preis bekam.
    Dazu bei Tichys Einblick :

    Hugo Müller-Vogg:
    Ach, wäre Anja Reschke doch wirklich mutig gewesen! Hätte sie nicht nur ein rhetorisches Bekenntnis zur Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen abgegeben.

  5. OK, das Thema ist oft genug durchgenudelt. Selbst Lindiboy hat die Chance beim Schopf ergriffen. Und mal so richtig gezeigt, dass die FDP eine Fundamentaloppositionspartei ist. Dieser Verein opponiert nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen die CDU.
    Was für Helden.

    Einen Aspekt würde ich trotzdem gern ansprechen.

    Es ging genau darum, zu zeigen, was eben nicht geht.

    Nope.
    Das „nicht“ war nur die übliche juristische Immunisierung. Die Methode ist nicht originell und auch nicht neu, wird jedoch (nur meine persönliche Wahrnehmung) in den letzten Jahren exzessiv angewendet.

    Zum ersten Mal ist mir das im Januar 2008 aufgefallen.
    Damals wurde wieder mal ein Deutscher halbtot geprügelt. Eigentlich nicht der Rede wert, wenn das Verbrechen nicht von einer Überwachungskamera aufgezeichnet worden wäre.

    In dieser Situation konnten die nicht mehr so tun, als wäre nichts passiert, und haben dies und das vom Stapel gelassen.
    Am meisten aufgefallen ist der Feuilletonchef der Zeit, Jens Jessen, der in seinem Videoblog lang und breit und fein ziseliert begründet hat, warum die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nachgerade verpflichtet waren, dem Rentner die Knochen zu brechen.

    Als dann der Shitstorm losbrach, war er tief gekränkt. Wie können die ihm nur anhängen, er haben das Verbrechen gutgeheißen? Hat er doch, kann jeder nachhören, auch gesagt, dass das Verbrechen durch nichts zu entschuldigen ist.
    Stimmt, hat er gesagt.
    Ändert das was am Gesamtbild?
    Wenn er das Verbrechen nicht gutgeheißen hat, was sonst ist der Inhalt seiner Rede?

    Den letzten bekannten Fall dieser Art hatten wir in Dresden, als Pegida den Flüchtling Khaled Idris ermordet hat. Haben die gleichgeschalteten Medien eine Woche lange verbreitet, 24 Stunden täglich.
    Das „24 Stunden“ ist wörtlich gemeint, selbst Mitternacht N-TV kam in den Nachrichtenbändern diese Meldung.

    Heute kann man alle Journalisten ansprechen, jeder wird nachweisen, dass er Pegida den Mord nicht angehängt hat.
    Er hat ja nur über den Verdacht berichtet.
    Er hat ja im Konjunktiv geredet.
    Er hat ja nur andere zitiert.
    Er hat …
    Ändert das was am Gesamtbild?
    Wenn nicht die Schuldzuweisung an Pegida, was sonst war der Inhalt der Dauerberieselung?

    So liegt es bei Böhmermann.
    Der Inhalt seiner Rede war Pöbelei, Beleidigung. Sonst nichts.

    #

    Anja Reschke: Wenn ich jetzt öffentlich sage: Ich finde, Deutschland soll auch Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen – was glauben Sie, was dann passiert? Ich bekäme eine Flut von Hasskommentaren. ‘Scheiß Kanacken, wie viel wollen wir noch aufnehmen, sollen abhauen, soll man anzünden …’, all sowas halt. Wie üblich.

    Im Osten nichts Neues. Ist hier so seit dem 30. Januar 1933.
    Die Machthaber wehren sich gegen die Machtlosen.

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