Der Bundestag befasst sich mit der „Berufshaftpflicht für Hebammen“

Das Thema „Berufshaftpflicht für Hebammen“ stand am letzten Donnerstag, dem 20.3.2014 auf der Tagesordnung im Bundestag. Im Internet wurden bereits seit Monaten Aufrufe zu Petitionen und anderen Hilfsaktionen für Hebammen verbreitet. Ich gebe zu, dass ich mich mit dem Thema nicht auskenne, allerdings scheint das auch – zumindest einige – andere zu betreffen, die zu dem Thema mitdiskutieren. Da ich mir eine Meinung bilden wollte, sah ich mir unter anderem auch die Aufzeichnungen der Redebeiträge im Bundestag an und machte mir Notizen dazu. Die folgenden Angaben stammen aus dem im Mai 2012 vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichten „Hebammengutachten“ (Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe) und aus den Redebeiträgen der Plenarsitzung im Bundestag zum Tagesordnungspunkt 5. Dort ging es um den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Geburtshilfe heute und in Zukunft sichern – Haftpflichtproblematik bei Hebammen und anderen Gesundheitsberufen entschlossen anpacken“ (Drucksache 18/850). Interessant ist, dass es fast ausschließlich SPD-Mitglieder waren, aus deren Reden man Fakten entnehmen konnte (Videos siehe Nachtrag). Über Herrn Lauterbachs Populismus-Vorwurf und seinen Einwand, das Thema stünde doch immerhin sogar im Koalitionsvertrag, kann man sich freilich streiten.

Wenn man Diskussionen zu dem Thema beobachtet, zeigt sich immer wieder, dass viele Leute denken, der Beruf der Hebamme an sich sei allgemein in Gefahr und uns drohe das Problem, dass es künftig keine Hebammen mehr geben könnte. Das scheint aber falsch zu sein, wenn man den Ausführungen der zitierten Politiker Glauben schenken darf.

Die Hebammen sind keineswegs alle in Gefahr. Es betrifft „nur“ die kleine Gruppe, welche teilweise oder ausschließlich freiberuflich arbeitet und dabei Geburtshilfe-Leistungen erbringt. Das sind (Zitat Lauterbach) gerade einmal etwa 1% der insgesamt etwa 21.000 Hebammen in Deutschland, denn die meisten freiberuflichen beschränken sich auf Schwangerschaftsvor- und -nachsorge. Interessant an dem Thema ist auch, dass es gar nicht genau bekannt ist, wie viele Hebammen in Deutschland überhaupt tätig sind und wie viele davon freiberuflich arbeiten. Laut „Hebammengutachten“ gab es 2010 in Deutschland „je nach Datenlage“ etwa „geschätzt“ 2.500 bis 3.800 freiberufliche Hebammen, die außerklinische Geburtshilfe-Leistungen erbringen und die nun von der steigenden Berufshaftpflichtversicherung betroffen sind. Ich habe Herrn Lauterbach auf Abgeordnetenwatch gefragt, wie er mit diesen Zahlen auf nur 1% kommt, denn mit den hier erwähnten Zahlen wären es 12 – 18%. Möglicherweise hat es mit den geringeren Geburtszahlen in dem Bereich zu tun:

Diese Hebammen haben durchschnittlich 18 Geburten im Jahr, die Hälfte davon hat weniger als 10. Bei einer aktuellen Versicherungsprämie von 5000€ sind das umgerechnet 278 bis 500€/Geburt. Das kann logischerweise nicht funktionieren. Bei angestellten Hebammen, die 100 oder mehr Geburten im Jahr betreuen, funktioniert das System der Versicherung über Gruppenverträge aber sehr gut, diese Hebammen machen trotz gestiegener Versicherungsbeiträge Gewinn. Deshalb gibt es innerhalb der Hebammenverbände auch Uneinigkeit, wie das Problem zu lösen ist.

Die Ursache der gestiegenen Versicherungsbeiträge sind stark gestiegene Kosten, die unter anderem paradoxerweise ausgerechnet durch den medizinischen Fortschritt entstehen. Im Artikel „Lösungssuche für steigende Prämien in Berufshaftpflicht für Hebammen“ (Versicherungsbote) wird das anhand der Zahlen gut dargestellt. Wenn durch Fehler in der Geburtshilfe – typischerweise bei einer Unterversorgung mit Sauerstoff – dem Kind geistige oder körperliche Schäden entstehen, konnten 1998 für den daraus resultierenden Pflegeaufwand über die Haftpflichtversicherung Kosten von 340.000 € entstehen, zehn Jahre später waren es bereits 2.885.000 €. Allein an Schmerzensgeld wurden 1998 75.000, 2008 bereits 500.000 € gezahlt. Der Grund sind verbesserte medizinische Möglichkeiten, durch die die Lebensdauer der Kinder stieg, sowie ermöglichte höhere Schadensvergütungen.

Der Hauptanteil der hohen Versicherungskosten entfällt dabei auf nur wenige Schadensfälle:

„Im Mittel gab es 2005-2009 rund 40 Schäden pro 1.000 Hebammen (…) das Gesamtbild wird allerdings von zunehmend teurer werdenden Groß- und Größtschäden geprägt“ („Hebammengutachten“, S. 124)

Quelle: "Hebammengutachten, Seite 125
Quelle: „Hebammengutachten, Seite 125

 

„Demnach weisen rund 71 % aller Schäden einen Aufwand von weniger als 1.000  € pro Schadensfall auf. Der Anteil dieser „Kleinschäden“ am Gesamtschadenaufwand beträgt 0,1 %. Auf der anderen Seite verursachen die teuersten 1,5 % der Schäden nahezu die Hälfte (46,7 %) des Gesamtschadenaufwands. Eine Analyse (…) zeigt, dass besonders die Ausgaben je Groß- und Größtschaden in der Vergangenheit deutlich zugenommen haben. Dazu beigetragen haben erhöhte Schmerzensgeldaufwendungen ebenso wie gestiegene Therapie- und Pflegekosten sowie Kompensationszahlungen für den zu erwartenden zukünftigen Verdienstausfall von geschädigten Kindern.“  (S.125)

Liegt es an also klagewütigen Eltern, die für die gestiegenen Kosten verantwortlich sind? Das wäre eine zynische Unterstellung gegenüber Eltern, die ein behindertes Kind bekommen haben und nun den Pflegeaufwand haben. Allerdings könnte man darüber streiten, auf welcher Basis man die Höhe eines künftigen Verdienstausfalles berechnet und wie berechtigt das eigentlich ist, wenn der Betreffende doch gleichzeitig Pflegekosten erhält?

Erich Irlstorfer (CDU/CSU) ging im Bundestag auch auf das Verhalten mancher Eltern ein, lieber eine – typischerweise von freiberuflichen Hebammen betreute – Hausgeburt machen zu wollen, obwohl das Risiko für Babys im Krankenhaus geringer ist, angesichts der dort vorhandenen medizinischen Möglichkeiten:

„Verschiedene medizinische Studien zeigen, dass Hausgeburten gefährlicher ablaufen können – ich sage bewusst können, als solche in Kliniken. Viele Hausgeburten enden im Krankenhaus – hier ist eine umfassende Beratung der werdenden Eltern absolut notwendig. Auch muss über notwendige Konsequenzen in Haftungsfragen diskutiert werden, wenn sich Eltern freiwillig und bewusst für diese Form der Geburt entscheiden.“

Es ist sicher ein ethisch schwieriges Thema, ob diese Eltern Konsequenzen in Haftungsfragen tragen sollen. Falls sie ein durch Geburtsprobleme behindertes Kind bekommen, sind sie bereits dadurch genug gestraft.

Weitere Aussagen im Bundestag: Es gibt in Deutschland momentan eine gute Versorgung mit Hebammen, die Krankenhäuser sind in dem Bereich nicht an ihrer Auslastungsgrenze. In Deutschland ist die Geburtshilfe nicht in Gefahr. Weder steht ein Berufszweig vor dem Aus, noch werden Schwangere allein gelassen. Eine Versachlichung der Debatte wäre gut. Man arbeitet an dem beschriebenen Problem und wird in einigen Wochen eine Lösung vorlegen.


Videos, Redebeiträge im Bundestag zu diesem Thema:

Technische Anmerkung: Theoretisch kann man die Videos der Bundestagmediathek auf anderen Seiten einbetten (wie man das von YouTube-Videos gewöhnt ist). Leider zerstörten alle entsprechenden Versuche die Formatierung meines Artikels, außerdem verschwanden eingefügte Videos auch immer wieder, weshalb diesen Versuch aufgab. 

Eröffnung: Claudia Roth (B90/Grüne)

Elisabeth Scharfenberg (B90/Grüne)

Hermann Gröhe (CDU/CSU)

Wöllert, Birgit (Die Linke)

Lauterbach, Dr. Karl (SPD) (Quelle für Artikel)

Schulz-Asche, Kordula (B90/Grüne)

Kühne, Dr. Roy (CDU/CSU)

Müller, Bettina (SPD) (Quelle für Artikel)

Irlstorfer, Erich (CDU/CSU) (Quelle für Artikel)

Kermer, Marina (SPD) (Quelle für Artikel)

Leikert, Dr. Katja (CDU/CSU)

Bulmahn, Edelgard (SPD)

6 Comments

  1. Hallo Frank,

    Ich habe einige sachliche Fehler in Deinem Blogbeitrag gefunden.

    Woher kommt die Rechnung, dass 2.500 bis 3.800 Hebammen in der außerklinischen Geburtshilfe 1 – 1,5% der insgesamt etwa 21.000 Hebammen ausmachen würden? Die Zahl scheint mir um eine Größenordnung zu klein zu sein.

    Es sind auch nicht nur freiberufliche Hebammen betroffen, die Geburtshilfe anbieten. Die beiden Gruppenverträge, bei denen die Nürnberger Versicherung ihren Ausstieg angekündigt hat, umfassen Hebammen mit und ohne Geburtshilfe. Eine Hebamme, die sich entschließt, Geburtshilfe anzubieten oder sie nicht mehr anzubieten, bleibt im gleichen Vertrag und bucht nur ein zusätzlichens Leistungsmerkmal hinzu oder bestellt es ab. Wenn es für die Zeit ab Juli 2015 keine Lösung gibt, stehen alle freiberuflichen Hebammen ohne Versicherungsschutz da.

    Der nächste Punkt ist die Aussage, bei angestellten Hebammen funktioniere die Gruppenverträge sehr gut. Das trifft schon aus dem Grund nicht zu, weil angestelte Hebammen nicht über Gruppenvertrage versichert sind, sondern über die Versicherung ihres Arbetgebers. Allerdings ist hier oft die Deckungssumme zu niedrig, so dass inzwischen auch angestellte Hebammen teure Zusatzversicherungen abschließen.

    Der nächste Fehler ist, dass nicht die Eltern 340.000 € (1998) bzw. 2.885.000 € (2008) erhalten; aus der Aufstellung im verlinkten Artikel ergibt sich eindeutig, dass ein großer Teil direkt an andere Parteien, v.a. die Sozialversicherungsträger, geht.

    Dass „die Krankenhäuser“ nicht an der Auslastungsgrenze sind, stimmt ebenfalls nur, wenn man über ganz Deutschland und über das ganze Jahr mittelt. Es gibt genügend Krankenhäuser, die eigentlich über ihrer Kapazitätsgrenze liegen und sich damit behelfen, dass sie Frauen nach der Geburt viel zu früh und ohne umfassende Unterweisung aus dem Krankenhaus entlassen.

  2. Ja, ich habe schon befürchtet, dass Kritik droht. Ich hätte das im Artikel vielleicht ausdrücklich erwähnen sollen (und werde noch ein entsprechendes Vorwort einfügen): Ich habe keine Ahnung von dem Thema, bin aber in den letzten Monaten immer wieder darauf gestoßen und habe versucht, mir eine Meinung zu bilden. Der Text entstand, als ich mir am Donnerstag Abend beim Ansehen der Bundestag-Videos Notizen machte. Wie ich durch Deinen Kommentar sehe, habe ich einige Dinge ungünstig formuliert.

    Woher kommt die Rechnung, dass 2.500 bis 3.800 Hebammen in der außerklinischen Geburtshilfe 1 – 1,5% der insgesamt etwa 21.000 Hebammen ausmachen würden? Die Zahl scheint mir um eine Größenordnung zu klein zu sein.

    Wenn man das ausrechnet, kommt man tatsächlich auf 12 – 18%. Die Angabe „1%“ stammt von Karl Lauterbach und dürfte darauf zurückgehen, dass die betreffenden Hebammen auch deutlich weniger Geburten betreuen als Hebammen in Kliniken. Ich habe Herrn Lauterbach soeben auf Abgeordnetenwatch eine Anfrage dazu gestellt, wie er auf den Wert kommt. Sobald sie dort erscheint, werde ich den Link hier mit einfügen. „1,5%“ hatte ich irgendwo in einem Zeitungsartikel gelesen, den ich mir leider nicht gespeichert habe. Ich werde die betreffende Textpassage anschließend etwas besser formuliert korrigieren.

    Eine Hebamme, die sich entschließt, Geburtshilfe anzubieten oder sie nicht mehr anzubieten, bleibt im gleichen Vertrag und bucht nur ein zusätzlichens Leistungsmerkmal hinzu oder bestellt es ab

    Okay, aber dann dürfte sich ja speziell dieses zusätzliche Leistungsmerkmal entsprechend teuer nur auf die betreffenden Hebammen auswirken?

    Der nächste Punkt ist die Aussage, bei angestellten Hebammen funktioniere die Gruppenverträge sehr gut.

    Das sind Aussagen der erwähnten SPD-Politiker, vor allem von Herrn Lauterbach. Siehe Videos.

    Der nächste Fehler ist, dass nicht die Eltern 340.000 € (1998) bzw. 2.885.000 € (2008) erhalten; aus der Aufstellung im verlinkten Artikel ergibt sich eindeutig, dass ein großer Teil direkt an andere Parteien, v.a. die Sozialversicherungsträger, geht.

    Das ist tatsächlich von mir zu oberflächlich formuliert. Danke für den Hinweis!

    Dass “die Krankenhäuser” nicht an der Auslastungsgrenze sind, stimmt ebenfalls nur, wenn man über ganz Deutschland und über das ganze Jahr mittelt.

    Das war eine Aussage von Marina Kermer – siehe Video.

  3. Hallo Frank,

    die Redebeiträge dieser Sitzung sind in diversen Blogs ja schon zur Genüge kritisiert worden, weil viele Halbwahrheiten und fehlinterpretierte Zahlen präsentiert wurden. Mich hat an Deinem Blogbeitrag gestört, dass sie einfach als unwidersprochene Tatsachen wiederholt wurden.

    Dein Argument

    Okay, aber dann dürfte sich ja speziell dieses zusätzliche Leistungsmerkmal entsprechend teuer nur auf die betreffenden Hebammen auswirken?

    geht deswegen am Problem vorbei, weil es ja gerade nicht in erster Linie um die Höhe der Haftpflichtbeiträge geht, sondern darum, dass zum Juli 2015 voraussichtlich die Gruppenverträge gekündigt werden und es kein alternatives Angebot auf dem Markt gibt.

    Dann fiele eben nicht nur das Leistungsmerkmal „Geburtshilfe“ weg, sondern der komplette Tarif; d.h. auch freiberufliche Hebammen, die keine Geburtshilfe leisten, könnten sich nicht mehr versichern und damit laut Gesetz ihren Beruf nicht mehr ausüben.

  4. Zum Thema „voraussichtliche Kündigung der Gruppenverträge im Juli 2015“: Gibt es denn tatsächlich Ankündigungen von Versicherern, dies tun zu wollen? Geht das überhaupt, obwohl doch anscheinend viele der Mitversicherten von den Gründen der Steigerung gar nicht betroffen sind?

  5. Es gibt nur die Ankündigung der Nürnberger Versicherung, aus dem Konsortium mit der Bayerische Versicherungskammer und der R+V Versicherung auszusteigen. Dies bedeutet vermutlich, dass das Konsortium aufgelöst wird und damit die Berufshaftpflichtversicherung nicht mehr angeboten wird.

    Der Gruppenvertrag mit dem BdH betrifft das Gesamtpaket, das nur als Ganzes weitergeführt oder gekündigt werden kann. Natürlich könnten die beiden verbleibenden Versicherungen versuchen, mit den BdH eine Gruppenversicherung nur für Geburtsvorbereitung, Nachsorge etc. zu verhandeln – das dürfte der BdH aber ablehnen.

  6. Hier ist übrigens eine sehr gute Analyse der Bundestagsdebatte, in der insbesondere auf die missverständlichen Zahlen von Karl Lauterbach eingegangen wird:
    http://www.hebammenunterstuetzung.de/news/2014/3/21/plenum-im-bundestag-vom-20032014
    und hier ist das offizielle Protokoll der Bundestagsdebatte:
    http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18023.pdf
    Interessanterweise kommen die 1 – 1,5% im Protokoll seiner Rede gar nicht vor; es könnte sein, dass beim freien Vortrag etwas durcheinander gebracht hat.

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