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Boykott!

Mit Joachim Gauck habe ich offenbar mehr gemeinsam als bisher gedacht. Wir hatten beide nie vor, die Olympischen Spiele in Sotschi zu besuchen. Und wir werden auch beide nicht hinfahren. Allerdings geht seine Bekundung nun durch die Presse und wird als Boykott gewertet, obwohl er das möglicherweise nie so gesagt hat. Aber, sagen manche, es wäre trotzdem toll, die Olympiade im bösen Russland zu boykottieren, Gründe gäbe es da massenhaft.

Manchmal bekommt man den Eindruck, der Kalte Krieg sei noch gar nicht vorbei. Ich bezweifle, dass wir 2015 auch gegen die Olympiade in Brasilien protestieren werden – zumindest angesichts der Tropenwaldabholzung gäbe es durchaus Gründe, auch dieses Land zu kritisieren. Russland ist für uns etwas anderes. Dort wird jede Kleinigkeit aufgegriffen, um das Land irgendwie als hinterwäldlerisch, oder als Reich des Bösen darzustellen. Und mit China ist es ähnlich. Was gab es im Vorfeld der Olympiade in China für Diskussionen, ob man sie boykottieren solle, oder ob die Sportler da nicht wenigstens etwas missbilligend dreinschauen könnten, wenn sie Medaillen erhielten …

Ich finde solche Boykott-Aufrufe irgendwie geistlos. Denn wenn vorher zugelassen wird, dass sich alle Länder weltweit für solche internationalen Sportereignisse bewerben dürfen, dann wirkt es nicht sehr durchdacht, wenn man sich später darüber aufregt, dass die Bewerbung tatsächlich an eines der Bewerber-Länder ging. Wenn es bestimmte Länder aus unserer Sicht nicht verdient haben, die olympischen Spiele austragen zu dürfen, dann soll man das bitte gleich vorher sagen, statt sich erst nachher aufzuregen! Insofern wäre es am besten, bereits vorher eine Liste unerwünschter Länder festzulegen, an die Olympia-Bewerbungen gar nicht erst gehen dürfen – eine Art olympische „Achse des Bösen“. Das wäre zwar nicht im olympischen Sinne der Völkerverständigung und für die internationalen Beziehungen sehr kontraproduktiv, aber es wäre konsequent in Bezug auf die jeweils absehbaren Boykott-Aufrufe.

In Russland wurde man schnell fündig, was Boykott-Gründe betraf. In Sotschi wollte man allen Ernstes streunende Katzen und Hunde umbringen! Dass man in ganz Russland aber schon seit Jahren ein echtes Problem vor allem mit Straßenhunden hat, dass es in Sotschi nur um etwa 2000 Tiere ging, dass man auch in Deutschland früher den Beruf eines Hundefängers benötigte und dass auch heute noch in Deutschland – gesetzlich abgesichert – streunende Hunde und Katzen umgebracht werden, interessierte freilich niemanden beim Engagement gegen Russland.

Aber es gab noch weitere schreckliche Zustände, die man dringend anprangern musste. In Sotschi sollen Gastarbeiter nach pünktlicher Fertigstellung der Bauwerke allen Ernstes wieder in ihre Heimatländer abgeschoben werden! Dass vom Staat geplante Bauwerke pünktlich fertig werden, muss uns Deutschen ja schon einmal suspekt vorkommen und lässt sich für uns eigentlich nur mit Sklavenhalter-Methoden erklären. Aber Gastarbeiter nach Abschluss einfach wieder nach Hause zu schicken, ist ja nun wirklich … also …

… na, eigentlich eine völlig normale Sache. Nach dem Abschluss eines Bauprojektes fahren Gastarbeiter durchaus wieder heim. Aber in Sotschi sollen auch schlechte Arbeitsbedingungen geherrscht haben und manche Arbeiter wurden laut eigener Aussage über mehrere Wochen hinweg nicht bezahlt. Darüber will ich mich nicht lustig machen, das wäre selbstverständlich eine üble Sache. Aber erstens dürfte nicht der russische Staat daran Schuld sein, sondern die Baufirmen. Und zweitens finde ich es ziemlich vermessen, dass wir uns über solche Dinge aufregen. Vielleicht sollten wir erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Es soll auch auf deutschen Baustellen schon vorgekommen sein, dass in- und ausländische Arbeiter wochenlang nicht bezahlt wurden, es gibt gelegentlich Berichte über Ausbeutung in Deutschland zu Dumpingpreisen und schlechte Gastarbeiter-Unterkünfte sind hier auch nicht unbekannt. Wenn Deutschland ein leuchtender Vorreiter in der Welt wäre, was perfekte Arbeitsbedingungen beträfe, wenn Wörter wie „Ausbeutung“ und „Drecksjob“ hier unbekannt wären, wenn sich die Diskussion um einen Mindestlohn hier gar nicht erst stellen würde – dann könnten wir meinetwegen gern anderen Ländern Vorschriften machen.

Mit dem vor wenigen Monaten beschlossenen “Homo-Propaganda”-Verbot hat sich Russland dann allerdings doch ein ziemliches Eigentor geschossen, was Reaktionen regelrecht provoziert. Ich finde zwar, dass wir im Westen nicht so tun müssen, als ob Homosexualität bei uns schon seit vielen hundert Jahren die normalste Sache der Welt sei, denn sie wird auch bei uns erst seit einem historisch sehr kurzen Zeitraum einigermaßen akzeptiert und auf unseren Schulhöfen sind „Schwuler“ und „Schwuchtel“ immer noch gern verwendete Schimpfwörter. Aber hier kann ich die Proteste noch am ehesten verstehen. Ich habe nur den Verdacht, dass man auch hier wieder froh war, noch ein Thema gefunden zu haben, damit die Kritik an Russland weitergehen kann.

Fazit: Ich bitte vor weiteren Auslosungen für Olympia-Austragungsorte um die Erstellung einer Schwarzen Liste mit unerwünschten Bewerberstaaten, damit wir uns künftig die damit verbundenen Boykott-Aufrufe sparen können.

5 Comments

  1. War es nicht so, dass die Safttante relativ große Bekanntheit in der deutschen Blogosphäre bekommen hat, weil sie in Blogbeiträgen die olympischen Ringe gezeigt und dafür Abmahnungen kassiert hat? Willst Du in Ihre Fußstapfen steigen?

    Ich habe gerade mal gegooglet, ich vermute, im Umfeld von Berichterstattung ist die Verwendung der Ringe kein Problem – aber der richtige Beleg dafür fehlt mir noch.

    Oder hast Du die Rechte am gezeigten Bild?

  2. Ich hatte das Bild aus der Wikipedia und dort las ich vorhin, es sei frei verwendbar, da die Rechte abgelaufen sind. Ich habe jetzt aber noch einmal nachgesehen und die Passage nirgends wieder gefunden, ganz im Gegenteil. Seltsam … aber ich nehme es mal besser raus. Danke für den Hinweis.

  3. Hier wird beschrieben, wie man die Ringe nutzen bzw. nicht nutzen darf und wie es zu dem Dilemma kam:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Ringe

    Interessante Frage: Dürfte man sie als Teil einer Karikatur verfremden? Etwa einen Putin zeigen, der mit dem olympischen Gedanken auch die Ringe zertritt?

    Noch etwas Krümelkackerei: Du meinst die Olympischen Spiele, schreibst aber »Olympiade«. Die Olympiade ist streng genommen der Zeitabstand von vier Jahren zwischen den Olympischen Sommerspielen.

  4. Die Olympiade ist streng genommen der Zeitabstand von vier Jahren zwischen den Olympischen Sommerspielen.

    Ja, stimmmt, Danke für den Hinweis. Ich habe soeben überlegt, ob ich das korrigiere, aber ich stehe jetzt einfach mal zu meinem Fehler. Wäre dasselbe in einem Artikel der Sächsischen Zeitung passiert, dann gäbe es von mir freilich umgehend eine sehr kritische Bemerkung dazu 😉

  5. @stefanolix Ich bin kein Jurist, aber ich bin mir relativ sicher, dass man gegen eine Karrikatur bzw. Satire mit Markenschutz und -rechten nicht ankommt.

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