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Ein kleiner Farbiger!

Zu Kristina Schröders Art, Kinderbücher vorzulesen und zu politisch korrektem Umschreiben solcher Bücher wurde in den letzten Tagen bereits viel veröffentlicht. Gestern gab es dazu noch einen guten Kommentar auf dradio von Burkard Müller-Ullrich, der solche sprachlichen Säuberungskampagnen als übles Beispiel von gedankenlosem Aktionismus einstuft.

Und damit hat er Recht. Was ist das für ein Unsinn, heute Begriffe in früher handelnden Geschichten zu aktualisieren, obwohl diese Begriffe in diesen früheren Zeiten ganz einfach üblich waren? Und worin besteht das Problem, wenn sie auch in einem Kinderbuch vorkommen? Man kann Kindern ganz normal erklären, dass es für frühere Menschen normal war, z.B. Neger, Mohr oder Eskimo zu sagen. Man kann ihnen sagen: Die Leute haben das damals nicht böse gemeint, es war für sie das normale Wort. Heute macht man das aber nicht mehr. Das verstehen Kinder durchaus.

Beispielsweise gibt es in Michael Endes Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ eine Stelle, die Frau Schröder offensichtlich übersehen hat: Jim Knopf gelangt bekanntlich in einem fehlgeleiteten Postpaket nach Lummerland. Bei Auspacken ruft die Besitzerin des Lummerlander Kaufmannsladens, Frau Waas, freudig überrascht: „Ein kleiner Neger!“

Ich fand das damals beim erstmaligen Vorlesen ziemlich sympathisch. Auch wenn Michael Ende sein Buch in einer Zeit schrieb, als man bereits wusste, dass man nicht „Neger“ zu Afrikanern sagt, war das von ihm trotzdem in Ordnung. Frau Waas ist bei ihm eine nette, ganz normale Frau, die in einer unbestimmten jüngeren Zeit lebt. Und für solche Leute war „Neger“ eben mangels besseren Wissens das normale Wort. Sollte sie etwa begeistert „ein kleiner Farbiger!“ rufen? Diese Peinlichkeit durfte ich einige Jahre später allen Ernstes in einer Musical-Version von Jim Knopf erleben.

Jedem Kind wird schnell klar sein, dass Frau Waas „Neger“ nicht böse oder abwertend meint (oder dass Michael Ende ein Rassist war). Ein kleiner schwarzer Junge ist für Frau Waas ein kleiner Neger. Keine schlechte Gelegenheit, nach dem Vorlesen notfalls zu erklären, dass „Neger“ heute im Alltag als unhöflich gilt. Aber jedes Kind wird auch verstehen, dass man deshalb „Jim Knopf“ nicht umschreiben muss. Und das sollte man auch allgemein nicht tun. Es ist ein Teil der Kultur, zu lernen, was früher normal war und was wir heute anders machen. Genau deshalb sollte es auch gerade in Kinderbüchern so stehen bleiben, denn Kinder lernen bekanntlich noch sehr gern.

Aber nicht nur wir und unsere Kinder können aus alten Schreibweisen und Namensgebungen etwas über kulturelle Entwicklungen lernen. Umgekehrt gilt das genauso. Wenn z.B. ein Inuit in alten Büchern aus Deutschland liest, dass man ihn hier früher „Eskimo“ genannt hat, dann lernt er ebenfalls etwas über uns. Und zwar über unsere positive Entwicklung, denn inzwischen schreiben wir das kaum noch, weil wir nun wissen, dass Inuit das als negativ empfinden. Und selbst wenn auch noch in jüngerer Zeit Geschichten wie „Der kleine Eskimo“ geschrieben wurden, kann er sehen, dass dies bei uns keineswegs beleidigend gemeint ist, denn darin werden immerhin die Erlebnisse eines kleinen sympathischen Jungen dargestellt. Mit einer Bezeichnung, die für uns bisher normal war. Auch für mich als Kind war das noch völlig üblich. Wir konnten gar nicht wissen, dass das im Gespräch mit einem echten Inuit falsch gewesen wäre, denn wir kannten die bessere Bezeichnung gar nicht.

Kinderbücher so zu lassen, wie sie geschrieben wurden, bedeutet auch, sich zu seiner kulturellen Vergangenheit zu bekennen. Auch wenn das möglicherweise zu gelegentlichen Diskussionen führen könnte.

2 Comments

  1. Dem schließe ich mich an. Ich sehe das Ganze sogar als eine Form der Geschichtsverfälschung. Die Menschen dachten und sprachen früher anders und in 100 Jahren wird dies ebenfalls der Fall sein. Wenn wir aus unseren Büchern sämtliche, für unsere Zeit, negativen Begriffe liquidieren, woher sollen dann unsere Nachkommen wissen, was Richtig und was Falsch ist? Gemäß der Aussage: Wer die Geschichte nicht kennt ist dazu verdammt sie ständig zu wiederholen.“ Und wer will dies schon!

  2. Stimmt, so hab‘ ich das bisher noch gar nicht gesehen (als Geschichtsverfälschung)! Das Ganze ist einfach nur unsäglich und ärgerlich! Am Stammtisch würde man fragen: „Ham‘ die nix zu tun?“

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