Islay Festival (Feis Ile) 2012 – Tag 1

Was sich dahinter verbirgt, muss man Freunden schottischer Whiskys nicht erklären. Für alle anderen hier die Kurzfassung: Islay (gesprochen: Eilah*) ist eine Insel zwischen Schottland und Irland, auf der einige der interessantesten Whiskys hergestellt werden. Deshalb (und weil es hier überhaupt eine sehr hohe Destillerie-Dichte gibt) verfängt sich bei jedem Whisky-Fan irgendwann der Gedanke, dass man durchaus einmal dort hinfahren sollte. Unser Versuch im letzten Jahr scheiterte an einem isländischen Vulkan, dessen Aschewolken den europäischen Flugverkehr etwas dezimierten, aber das kann man hier nachlesen.

* Laut Information eines Einheimischen bedeutet das lediglich „Insel“

Ende letzten Jahres planten wir den zweiten Versuch. Konsequenterweise wählten wir die Woche, in der das Islay Festival stattfinden sollte. In dieser Zeit gibt es in den Destillerien und an anderen Orten verschiedene Veranstaltungen, in den Destillerien sind teilweise Sonderführungen und man kann dort einige Räume ohne Führung besichtigen, es gibt Konzerte und Kultur … manche Leute scheinen da jedes Jahr hinzufahren. Für jeden aus unserer vierköpfigen Gruppe war es aber der erste Besuch auf Islay.

Diesmal hatte auch wirklich alles funktioniert: Kein aktiver Vulkan in Island, kein Stau auf dem Weg nach Schönefeld, keine Verzögerung beim Flug, unseren Mietwagen erhielten wir an dem Schalter neben dem mit der sehr langen Schlange (also recht schnell). So konnten wir auch umgehend die Fahrt von Glasgow zur Fähre in Kennacraig beginnen. Die vorher im Internet befragten Routenplaner hatten uns berechnet, dass wir es problemlos schaffen müssten, aber trödeln durften wir auch nicht. Die nächste Fähre würde erst morgen fahren. Diese Zeit zu verlieren, wäre schon ärgerlich. Das Auto bot ausreichend Platz, Linksverkehr war kein Problem, es herrschte prima Laune…

… seltsamerweise meinte das im Wagen eingebaute Navigationsgerät nach etwa einer halben Stunde beharrlich, wir sollten zurück fahren. Aber das lag wohl an einem Bedienfehler unsererseits, denn das parallel verwendete iPhone wies uns den Weg geradeaus. Aber verlief der Weg auf der gestern angesehenen Karte hinter Glasgow nicht rechts von einer Meeresbucht? Wir waren links davon und steuerten auf Port Glasgow zu. Brücken, über die man wieder nach rechts käme, waren nicht vorhanden. Vielleicht sollten wir doch einmal anhalten und darüber nachdenken? Dazu bot sich der nächste Supermarkt, wo wir auch erst einmal dringend benötigtes Bier kaufen könnten. In aller Ruhe selbstverständlich. Des Rätsels Lösung war: Das Navi im Auto hatte Recht. Die Software im iPone hatte sich eine vermeintlich kürzere Strecke ausgesucht, allerdings hätten wir dazu noch eine zusätzliche Fähre auf dem Weg zu unserer Fähre benutzen müssen. Von der zweiten wussten wir aber weder, wann, wie lange und ob sie überhaupt fährt. Also sollten wir nun doch mal langsam, oder besser sogar schleunigst bis zum richtigen Abzweig zurück fahren! Als dann auch noch die ersten Staus aufkamen, war die Stimmung bald gar nicht mehr so toll … gespanntes Schweigen breitete sich aus, weil uns der Routenplaner berechnete, dass wir erst knapp nach der Abfahrt der Fähre dort ankommen würden. Und dabei hätten wir – laut Angaben der Fährgesellschaft – eigentlich bereits eine halbe Stunde vor dem Ablegen dort sein müssen!

Ich will hier mal keine künstlichen Spannungsbögen einbauen: Wir haben es gerade noch so geschafft und die Fähre fuhr zusätzlich etwas verspätet ab. Es ist selten, dass man sich über Verspätungen freut …

Wer nach Islay fahren möchte und sich überlegt, ob er die lange Fahrt mit der Fähre zwischen Kennacraig und Islay nehmen sollte oder ob er sich für die alternative Strecke mit zwei viel kürzeren Fährverbindungen und längerem Landweg entscheiden sollte: Die lange Fährverbindung kann ich sehr empfehlen. Zumindest bei schönem Wetter. Letztes Jahr soll um diese Zeit ein absolutes Sauwetter gewesen sein, sogar für schottische Verhältnisse (angeblich wurden beim damaligen Islay-Festival deshalb mehrere Veranstaltungen abgesagt). Aber wir hatten bestes Wetter – es war absolut großartig, so allmählich auf die Insel zu zufahren, in die tief stehende Abendsonne.

Irgendwann beruhigten sich auch die wild piependen Autos im Parkdeck, deren Alarmanlagen der Meinung waren: Jemand rüttelt an mir. Vielleicht verstand die intelligente Elektronik nach der ersten Stunde, dass es doch nur die Vibrationen der Fähre waren. Oder vielleicht waren auch  nur die Batterien runter … was weiß ich. An Bord wurden kleine Probebecher einer Whisky-Sorte ausgeschenkt, die wir alle gar nicht kannten: „Port Charlotte“. Eigentlich wurde die gleichnamige Destillerie in diesem Ort doch längst geschlossen …  produzieren die etwa wieder? Das fängt ja interessant an. Es war ein sehr angenehmer Whisky, der einem Anfänger mit seiner leicht rauchigen und torfigen, aber auch etwas fruchtig Note sehr gut andeutet, in welche Richtung es whiskymäßig auf Islay gehen wird. Allerdings stellte sich heraus, dass die Destillerie in Port Charlotte nach wie vor geschlossen ist (in einem der damals verwendeten Häuser ist heute die einzige Jugendherberge Islays untergebracht). Der Whisky stammt von Bruichladdich. Die Whiskys dieser Destillerie waren bisher eigentlich nicht so mein Fall, aber die Serie „Port Charlotte“ könnte mich möglicherweise umstimmen.

Islay hat zwei Häfen. Unsere Unterkunft ist in Port Ellen, wo die Fähre normalerweise ankommt. Doch in diesem Hafen wird momentan gebaut, weshalb alle Fähren auf der entgegengesetzten Seite der Insel, in Port Askaig landen. Das macht aber nichts, denn Islay ist ja nicht sehr groß und so dauert es nicht lange, bis man die Insel durchquert hat. Es waren gefühlte 2 – 3 Minuten (eine Uhr hätte sicher etwas zweistelliges gezeigt), bis wir unser Ziel erreicht hatten.

Die Vermieterin war zwar nicht anwesend, aber das war kein Problem, denn die Tür stand offen. So wie sie es uns beschrieben hatte. Wir können die Haustür übrigens auch nicht abschließen, wie wir inzwischen erforscht haben. Das ist normal, erfuhren wir von den Nachbarn. Anscheinend wird hier nichts geklaut. „Hier bleib‘ ich“, meinte inzwischen jeder von uns schon spontan. Eine wunderbare Gegend, anscheinend kaum Kriminalität (die einzige Polizeistation im Ort scheint seit Jahren geschlossen zu sein), offene Häuser, alle sichtbaren Fahrräder sind nicht angeschlossen, es gibt hier tolle Getränke, die Leute wirken entspannt … ist es vorstellbar, dass einer der hier Lebenden jemals burnout oder etwas Vergleichbares bekommen könnte?

Am anderen Ende des Ortes raucht der Schornstein von Port Ellen Maltings. Dort wird also fleißig Gerste gemälzt, die andernorts auf der Insel bald verarbeitet wird.

Übrigens hat die Idylle für mich eine kleine Einschränkung: Ich habe hier kein Internet*! Draußen in der Welt diskutieren die Leute wahrscheinlich soeben über tausende wichtige Dinge … zum Beispiel soll ja morgen Günther Grass‘ neues Gedicht zum Thema Griechenland erscheinen! Und ich sitze hier herum – völlig abgeschnitten von Facebook und Ähnlichem – und kann nicht mit diskutieren! Wie soll ich diese Situation nur aushalten?

Ich denke mal: Sehr gut wird sich das aushalten lassen!

(* Diesen Text habe ich erst nach der Reise geschrieben und zurück datiert.)

One Comment

Comments are closed.