Diaspora in der Praxis

Auf dieses soziale Netzwerk wurde ich bereits vor einigen Monaten aufmerksam. Wahrscheinlich stand irgendwann etwas bei heise.de über diese Facebook-Alternative, die als Open Source-Projekt entwickelt wird und bei welcher der Datenschutz oberste Priorität hat. „Das sollte man ein wenig im Auge behalten“, dachte ich damals noch. Gestern konnte ich es im Rahmen einer Demonstration live erleben und ausprobieren. Es waren drei junge Männer anwesend, die das Projekt erklärten und als Besucher konnte man es an Notebooks mit ausprobieren.

Fazit: Tut mir leid, liebe Entwickler, aber das kann man schlicht vergessen! Dabei finde es eigentlich durchaus toll, dass sich ein paar Leute so etwas ausdenken. Ich habe auch Achtung davor, was sie bisher erreicht haben, aber aus Anwendersicht stellt sich die Sache so dar: Alles, was in anderen Systemen (also letztlich Facebook, StudiVZ und Google+) Standard ist, hat man hier noch gar nicht oder bestenfalls im „Alpha“-Stadium. Man kann zwar mit Anderen chatten, deren Texte kommentieren und man kann Fotos veröffentlichen.  Aber die (an den Notebooks sitzenden) Teilnehmer konnten gestern Fragen stellen und zu fast jeder Frage „kann man auch, wie bei Facebook, dies und das machen?“, kam als Antwort, dass es vorerst nur mit geplant sei. Für irgendwann.

Mir ging die Frage durch den Kopf, wie man denn die Chancen des Projektes beurteile, seitdem es mit Google+ für Facebook-Skeptiker durchaus eine Alternative gibt, aber ich wollte den Finger nicht so in die Wunde legen. Doch der Vergleich drängte sich automatisch auf, denn auch Google bezeichnet seine Facebook-Alternative bisher nur als unfertig (allerdings bereits im „Beta“-Stadium), aber dort funktioniert alles und der Funktionsumfang ist im Gegensatz zu Diaspora sogar höher als bei Facebook. Ich gebe gern zu, dass ich inzwischen ein klarer Fan von Google+ bin (vielleicht sollte ich doch mal gelegentlich erklären, warum). Das eigentliche Problem sah ich aber bald in Folgendem: Die Teilnehmer fragten auch, wie sich Diaspora finanzieren würde? Entwickler können zwar vieles aus Engagement und in ihrer Freizeit machen, aber spätestens bei den benutzen Servern fallen Kosten an. Werbung wollen die Diaspora-Entwickler ausdrücklich nicht einbinden. Sponsoren gibt es nicht (laut Wikipedia gab es anfangs welche, aber das scheint nach der ersten Euphorie abgeflaut zu sein). Was also tun, wenn ein Serverbetreiber das nicht mehr unterstützt und dessen Server für Diaspora ausfällt? Die Lösung: Dann kann  man sich ja einen anderen Server suchen. Ja, man müsse natürlich prüfen, ob man den für vertrauenswürdig hält (wegen Datenschutz und so). Immerhin kann man seine Freunde nach dem Umzug wieder importieren. Na, das klingt ja gut! Serverumzüge – für jeden Normalanwender sicher eine problemlose Angelegenheit.

Aber das zeigt wieder nur das allgemeine Problem nichtkommerziell ausgerichteter Open Source-Projekte gegenüber kommerzieller Software: Es fehlt der Druck, a) kontinuierlich weiter daran zu arbeiten und b) dabei das eigene Ergebnis für die Brauchbarkeit aus Sicht eines Laien zu beurteilen. Bei einer kommerziellen Software steht eine Firma dahinter, die damit direkt oder indirekt Geld verdienen oder wenigstens einsparen will. In dieser Firma gibt es möglicherweise einen Stichtag, zu dem die neue Version veröffentlicht werden soll, es gibt also Druck auf die Programmierer. Bei Erfolg steht vielleicht eine Prämie in Aussicht, bei Misserfolgen möglicherweise Jobverlust. Wahrscheinlich muss die Firma ihr Produkt besser darstellen als die Lösung der Konkurrenz und versucht ihre Software deshalb anwenderfreundlich zu machen. „Nichtkommerziell und Open Source“ bedeutet dagegen: Weiterentwickelt wird nur, wenn mal wieder jemand in seiner Freizeit ein paar Stunden übrig hat und dann tut derjenige das verständlicherweise nur bis zu einem Zustand, der ihm als Entwickler als ausreichend erscheint. Anwender können glücklich sein, wenn der Entwickler immerhin ein Detail weiterentwickelt hat, was für sie als dringlich angesehen wird. Wenn sie Pech haben, hat der Entwickler aber nur einen Button drei Pixel weiter hoch versetzt. Der Programmierer sagt sich möglicherweise (aus seiner Sicht berechtigt), warum solle er das eigentlich alles machen? Open Source heißt immerhin, dass alle mitmachen können. Warum programmieren sich die Anwender ihre gewünschten Verbesserungen nicht selbst? Typischerweise haben von denen aber nur die wenigsten Lust, bereits nur zu erforschen, was der Programmierer mit „Quelltext“, „Binaries“, „GUI“, „API“ und ähnlichen Begriffen überhaupt gemeint hat.

„So ganz konnten wir sie wohl anscheinend nicht überzeugen“, hörte ich einen der drei Diaspora-User anschließend im Vorbeigehen zu seinen Freunden sagen. Ja, das könnte man so sagen.

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Update, 29.08.2012  Das war’s wohl: „Facebook-Konkurrent: Diaspora-Gründer kapitulieren“

10 Comments

  1. Ich glaube man sollte nicht immer nur den Fortschritt im Auge behalten. Bei Diaspora geht es darum das persönliche Eigentum zu schützen. Was nützt mir dieser ganze Zusatzmüll bei Facebook wenn ich alle meine Rechte beim einloggen abgegeben habe. Ich glaube man sollte das Projekt nicht schon runter machen, bevor es in die Gänge gekommen ist. Ich höre in meinem Bekanntenkreis fast ausschließlich gutes. Das geht von „Endlich wenige Möglichkeiten die man aber versteht bis zu tolles feature das mit den #Tags“.
    Ich wünsche mir, dass es sich weiterentwickelt und facebook bald aussieht wie myspace.
    Facebook ist einfach nicht mehr cool. Das ist bald wie RTL für das Prolos.

  2. „Ich gebe gern zu, dass ich inzwischen ein klarer Fan von Google+ bin (vielleicht sollte ich doch mal gelegentlich erklären, warum).“
    Ich melde mich hiermt als Interessent für den Teil in der Klammer an 😉

  3. Bei Diaspora geht es darum das persönliche Eigentum zu schützen.

    Ja, theoretisch richtig. Aber wie können denn – mal ganz grundsätzlich betrachtet – Daten noch „persönliches Eigentum“ sein, wenn man sie selbst ausgerechnet im Netz veröffentlicht? Egal, ob ich hier, auf FB, bei G+ oder bei Diaspora etwas schreibe – all das kann von Leuten, die mir hinterher spionieren wollen, auch mitgelesen werden. Das muss doch jedem vorher klar sein! Es wurde doch kürzlich erst in der Presse als große Entdeckung behandelt, dass die CIA bei Facebook mitliest – aus meiner Sicht schon immer völlig logisch! Das wären ja ziemlich dilettantische Geheimdienste, wenn sie das nicht tun würden!

    Jedem Anwender muss einfach klar sein, dass man aus seinen Veröffentlichungen prinzipiell ein komplettes Persönlichkeitsprofil erstellen kann. Wer das nicht will, sollte nichts im Netz schreiben. Dass Facebook mit persönlichen Daten sehr schlampig umgeht, um es noch vornehm auszudrücken, sollte jedem klar sein. Insofern ist man schön blöd, wenn man dort ehrlich seine echten Hobbys usw. eingibt, damit FB passende Werbung platzieren kann. Andererseits muss aber auch jedem klar sein, dass ein vermeintlich kostenlos angebotener Dienst (egal, ob FB, G+, StudiVZ usw.) nicht aus purer Menschenliebe von Idealisten eingerichtet wurde, sondern dass da irgendwer in irgendeiner Form Geld verdienen will.

    Ich glaube man sollte das Projekt nicht schon runter machen, bevor es in die Gänge gekommen ist.

    Wollte ich eigentlich auch nicht, aber das hier waren meine Gedanken während der Vorführung. Wir wollen doch hier im Netz immer Offenheit, Transparenz und Ehrlichkeit. Warum soll man da Open Source-Projekte aus der Kritik heraus halten?

    Ich höre in meinem Bekanntenkreis fast ausschließlich gutes. Das geht von „Endlich wenige Möglichkeiten die man aber versteht bis zu tolles feature das mit den #Tags“.

    Ja, das mit den Tags habe ich auch positiv bemerkt. Gibt’s aber bei G+ auch und dort ist es konsequenter umgesetzt, weil auch nicht getagde Begriffe beim Anklicken eines getagden (also mit und ohne #) mit aufgelistet werden.

    Facebook ist einfach nicht mehr cool. Das ist bald wie RTL für das Prolos.

    Da sind wir uns ja immerhin einig*. Allerdings sehe ich die Lösung eben woanders.

    (* Nachtrag: Das mit den „Prolos“ würde ich aber nicht so übertrieben formulieren, denn bei FB sind auch nette, intelligente (usw.) Menschen anwesend und bei G+ den umgekehrten Trend zu sehen, dürfte unrealistisch sein)

  4. @ Micha: Ich versuche es morgen mal zusammen zu fassen. Jetzt ist es aber schon 0:18 Uhr – ich werde also zunächst einmal darüber schlafen 😉

  5. Hei Frank, danke für den interessanten Beitrag. Mir drängt sich jedoch ein Misverständnis deinerseits auf.

    Von FB und Co. wird das natürlich immer so propagiert, aber: Das Problem ist nicht, dass andere Nutzer oder das FBI und ähnliche Quackshalber deine Daten für Profile nutzen können. Der Kern des Problems ist, dass egal wie viele Circle du einrichtest und wie stark du die Sicht auf dein FB-Profil limitierst – FB und Google lesen *immer* mit.

    Jede Nachricht die du schreibst, jedes Lied, das du postest und jeden Link den du likest wird verkauft. Facebook ist der Supermarkt der Werbeindustrie und der Nutzer das Produkt. Wie sehr da die Privatsphäre unter den Nutzern geschützt wird interessiert FB nur insofern, als dass weniger zugreifbare Informationen weniger Aktionen im Netzwerk ergeben und damit weniger Daten für die Regale. Zu viele Freigaben stören die Nutzer, geben ihnen nicht das Gefühl der Sicherheit und letztendlich wieder weniger Aktionen im Netzwerk. Die Politik mit der Privatsphäre verläuft genau auf der Linie, auf der FB die meisten Daten erhält.

    Die Leistung, die ich bei FB und G+ erhalte, ist bei weitem zu gering, als dass ich mich dafür als Produkt vermarkten lassen würde. Dafür und generell verzichte ich liebend gerne auf Unmengen von Funktionen, die FB zum mental defizitären Raum verkommen lassen. Dafür kürze ich aktuell noch gern einen Youtube Link händisch, dass er in D* richtig angezeigt wird und arrangiere mich mit einigen Ungereimtheiten. Es ist schlicht das einzige funktionierende Netzwerk für meine Bedürfnisse.

    Beste Grüße aus der Diaspora

  6. Zu »Diaspora«: Wenn ich es richtig verstanden habe, soll der Nutzer seine eigenen Daten auf einer Art persönlichem Webserver auf dem PC unter eigener Kontrolle ablegen. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Webserver minimiert ist und nur die notwendigsten Funktionen enthält. Trotzdem dürfte es sehr schwierig sein, auf allen Rechnern der Nutzer immer ein vernünftiges Sicherheitsniveau zu halten. Selbst professionell arbeitende Administratoren sind mit dieser Aufgabe voll gefordert.

  7. @ Chris: Das mit dem CIA war auch nur ein übertriebenes Beispiel. Es ist einfach nur so, dass ich mir sage: Klar wollen FB und G+ irgendwie Geld einnehmen und sogar reich werden. Ich sollte also überlegen, was ich denen an Inhalt übergebe. Aber ich habe eben auch kein Problem mit einer solchen Verwertung, weil die ganze Angelegenheit dadurch auch technisch stabil (störungsarm) laufen wird. Ich habe inzwischen schon zu viele Projekte erlebt, die irgendwie kostenlos umgesetzt werden sollten. Es lässt sich inzwischen sagen: Stabiler und dauerhafter laufen aber die, welche gegen Bezahlung durchgeführt werden. Die meisten kostenlosen Projekte sind inzwischen weg vom Fenster (typ. Beispiel: Um den Server kümmert sich ein Kumpel von mir in seiner Freizeit).

    Wer aber – wie offensichtlich Du – dieses funktionierende Prinzip von Leistung und Gegenleistung nicht mitmachen möchte (was ja durchaus eine der möglichen Positionen ist), der muss eben nur den von mir und Dir selbst beschriebenen geringeren Funktionsumfang und gelegentliche Störungen akzeptieren. Ich betrachte Lösungsvorschläge aber immer aus Sicht eines technisch unbedarften Normalanwenders. Und aus dieser Sicht scheint mir Diaspora nicht das Optimum zu sein, um es mal vorsichtig zu formulieren 😉

  8. Die kommerzielle Verwertung von Nutzerinhalten ist bei Facebook und G+ schon werksseitig eingebaut: Der Betrieb der Serverfarmen verursacht den Firmen so hohe Kosten, dass diese durch „Auswertung“ der Nutzerdaten wieder reingeholt werden müssen. Diaspora bietet durch sein dezentrales Hosting die Möglichkeit, die Kosten fürs Hosten auf viele Schultern zu verteilen und es diesen zu überlassen, wie sie mit den Kosten umgehen.

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