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Datenskandal der Sächsischen Polizei – etwas entspannter betrachtet

Vor zwei Tagen brachte die TAZ die Meldung (1), dass bei der Dresdner Anti-Nazi-Demo im Februar von der Polizei auch eine Funkzellenauswertung (FZA) zum Einsatz kam. Mit dieser wurden Standort- und Bewegungsdaten eingeschalteter Handys erfasst, sowie Verbindungsdaten von Telefonaten und versendeten SMS aufgezeichnet. Die Polizei erfasste dadurch (zumindest vorübergehend) in bestimmten Gegenden komplett, wer an der Demonstration teilnahm. Das kann man als Bedrohung der Demonstrationsfreiheit sehen, denn als potentieller Teilnehmer einer Demo wird man es sich insofern künftig möglicherweise gut überlegen, ob man an ihr teilnimmt, wenn doch die Polizei alles überwacht. Als so verhinderter Teilnehmer hat man stattdessen einen weiteren Grund, auf das System zu schimpfen, welches sich nun in Orwellscher Art zu einem klaren Überwachungsstaat entwickelt. Oder man schreibt Texte darüber, die Stasi sei ein Scheißdreck dagegen gewesen und was man dann halt in seinem Blog so schreibt. Aufrüttelnde Sachen mit „Bullenstaat“ und vielleicht mal wieder „Schweinesystem“ und so, aber irgendwie langweilig. Kennt man ja alles schon.

Und deshalb schalten wir mal einen Gang zurück:

Erstens: Welche Nachteile könnten mir als Bürger entstehen, wenn durch (möglicherweise) nicht gelöschte Polizei-Unterlagen herauskäme, dass ich mal an einer Anti-Nazi-Demo teilgenommen habe? Nachteile könnten eher demjenigen entstehen, der auf der Gegenseite stand, der also mit den Nazis marschierte. Insofern schränkt das also eher dessen Demonstrationsfreiheit ein. Und dazu fällt mir nur ein: „Gefällt mir“! Aber auf der Seite der Guten gestanden zu haben, kann man doch schwerlich zum Kritikpunkt umdeuten? Höchstens, wenn ich mich zufällig an einer Stelle befand, wo tatsächlich Straftaten begangen wurden. Unschuldig als Verdächtiger eingestuft zu werden, kann mir aber – mit oder ohne FZA – trotzdem passieren. Wie auch bei jeder anderen Straftat im Alltag. Und da ist immer noch die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft in der Beweispflicht.

Zweitens: Wieso wird meine Demonstrationsfreiheit dadurch beschränkt? Das wird sie durch mögliche FZA eigentlich nicht mehr als beispielsweise durch öffentliche Überwachungskameras oder webcams. Darüber kann man auch nachweisen, wo ich wann war. Einige von diesen Kameras kann sogar jeder Bürger daheim am PC ganz offiziell mit auswerten. So gesehen würde meine Freiheit genauso auch von privaten Fotos anderer Demonstranten bedroht, auf die ich mit geraten bin und die von den Urhebern anschließend ins Netz gestellt wurden (was ja heute Standard ist). Und wenn ich dummerweise Facebook-Nutzer bin und nicht bemerkt habe, dass Facebook wieder mal ungefragt eine tolle neue Funktion aktiviert hat, bin ich plötzlich auf irgendwelchen Fotos markiert. Vor brennenden Mülltonnen oder neben einem Nazi. Da wird es dem BKA neuerdings sehr leicht gemacht! Ich habe aber bisher noch von niemandem gehört, dass Facebook unsere Demonstrationsfreiheit bedroht. Das iPhone und andere Smartphones zeichneten ungefragt Bewegungsprofile ihrer Besitzer auf – hat irgendwer seit dem Bekanntwerden dieser Sache beklagt, z.B. Apple würde die Demonstrationsfreiheit seiner User einschränken?

Außerdem weiß ich das mit der FZA ja nun auch und kann mein Handy bei künftigen Demos zu Hause oder ausgeschaltet lassen (ganz wichtig: Akku herausnehmen!). Oder ich besorge mir eine Pre-Paid-Card. Die Links-und Rechtsextremen wussten das sicher längst und benutzten bereits entsprechende Geräte, oder digitalen Sprechfunk oder was es da sonst noch gibt. Vor der nächsten Demo also einfach mal auf indy- bzw. altermedia informieren!

Man kann die Sache auch einmal anders herum betrachten: Wir hatten in den letzten Jahren bekanntlich immer wieder Straftaten im Februar, die im Umfeld der Demonstrationen entstanden. Warum … und mal unabhängig davon, ob mir als Bürger das dann gefällt … warum sollte die Polizei bei (mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit) absehbaren Straftaten eigentlich nicht diese technisch machbare Methode der Überwachung potentieller Täter einsetzen? Gefällt mir als potentiell Betroffenem tatsächlich nicht (ich war ja auch dort), aber Steuern, GEZ, Speichelproben, Verkehrs- und Alkoholkontrollen gefallen mir als Bürger ebenfalls nicht. Doch sie sind schon sinnvoll. „Ja, aber da wurden ja auch alle Unschuldigen mit erfasst!“, höre ich gleich den Einwand. Klar, aber wie könnte denn die Polizei das andererseits auch machen, nur die Schuldigen abzuhören? Die kennt sie ja dummerweise noch gar nicht! Bzw. wenn sie sie schon kennen würde, dann würde die Polizei ihre FZA logischerweise auch gar nicht erst durchführen müssen, sondern könnte gleich Straftäter verhaften gehen ….

Wenn die per FZA entstandenen Datensätze nach Abschluss der Ermittlungen oder einem vorgegebenen Zeitraum wieder gelöscht werden – warum soll man sie nicht für die Ermittlungen einsetzen? Genaugenommen könnte man selbst das Löschen hinterfragen, denn: Werden bei sonstigen Kriminalfällen in den Ermittlungsakten die Name mit erwähnter Verdächtiger nach Verfahrensabschluss etwa gelöscht? Laut Fernsehkrimis nicht. In der TAZ steht übrigens: „In Hamburg drängt die Kriminalpolizei seit April dieses Jahres darauf, die Handyverbindungsdaten im Zusammenhang mit nächtlichen Autobrandstiftungen nutzen zu dürfen. Bisher wurde das von den zuständigen Richtern allerdings als ‚unverhältnismäßig‘ abgelehnt“ (2). Vielleicht hätten die Besitzer der weiterhin verbrannten Autos mit einer FZA leben können?  Wie würden wir eigentlich reagieren, wenn herauskäme, dass die Polizei mit Hilfe der FZA ermittelt hätte, wer die Nazis waren, welche am 19. Februar das linke Wohnprojekt „Praxis“ überfallen hatten? Fänden wir das dann auch noch so schlecht?

Nebenbei: In der TAZ wurde es bereits erwähnt und in Telepolis aufgegriffen (3), dass neben Demonstranten, Anwohnern oder Journalisten auch Bundestagsabgeordnete erfasst (also „abgehört“) wurden. Sogar Politiker! Unglaublich …

… aber warum eigentlich nicht auch die? Parlamentarische Immunität hin und her – aber halten sich unsere Parlamentarier etwa für etwas Besseres? Erstaunlicherweise wird das aktuell zum großen Problempunkt dieser Aktion aufgebauscht, und noch erstaunlicherweise sogar von allen Fraktionen. Wenn die sich doch sonst mal nur halb so einig wären! Es macht immer Spaß, mal wieder daran zu erinnern: Demokratie bedeutet (theoretisch), dass Gleichberechtigte aus (theoretisch) ihrer Mitte  Vertreter wählen, die (theoretisch) ihre Interessen umsetzen sollen. Aber diese gewählten Vertreter sind anschließend immer noch nur gleichberechtigte normale Bürger und keine höheren Wesen. Ja, schon klar: Hier muss wieder ein „theoretisch“ her, aber jetzt mal im Ernst: Wenn irgendwo flächendeckend alle Bürger „abgehört“ werden, dann doch selbstverständlich auch alle mit anwesenden Politiker! Genauso wie Bäcker, Schornsteinfeger und sonst wer. Ich stelle mir soeben die Schlagzeile vor: „Wurden von der Polizei neben Demonstranten auch gezielt Bäcker und Schornsteinfeger abgehört?“ – die entstehende Welle der Empörung vermag ich mir gar nicht auszumalen!

Quellen:

(1) TAZ, 20.6.2011: Mal eben ausgespäht

(2) TAZ, 20.6.2011: Datenschützer über Mobilfunkauswertungen – „Demonstrationsfreiheit ist bedroht“

(3) Telepolis, 21.6 2011: Rasterfahndung per Handy

Weitere Presseartikel:

SZ, 22.6.2011: Tillich verlangt Bericht zu Ausspähaktion

SZ, 22.6.2011: Noch mehr Daten abgeschöpft? Tillich fordert Sonderbericht an

Heise, 23.07.2011: Dresdner Polizei wertete schon 2010 Handydaten aus

Heise, 28.07.2011: Dresdner Ermittler fragten bereits 2009 über 1 Million Handy-Daten ab

SZ, 30.07 2011: „Sachsens Polizei und Staatsanwaltschaft missachten den Geist des Grundgesetzes“ von Wolfgang Thierse

SZ, 06.08 2011: „Thierses Kritik an Polizei und Justiz grenzt ans Unerträgliche“ von Paul Scholz

9 Comments

  1. du findest es ok wenn die Polizei eine Datenbank füllt, wer mit welcher politischen Motivation zu Demo X gegangen ist? Das dann noch ohne ernsthaften Grund und fern von jeglicher Legitimation?
    Weiterhin darf ich dich vlt. dran erinnern dass Daten löschen immer schlechter ist als Daten garnicht erst zu sammeln. Denn „unfälle“ passieren bei sowas mit interessanter Regelmäßigkeit wo dann doch z.B. mal eine Sicherheitskopie noch ein paar Jahre rumliegt oder die Daten 2-3 Tage auf nem öffentlichen HTTP/FTP-Server liegen.

  2. 1. Habe ich nicht geschrieben, dass ich die Aktion okay fand. Ich zitiere mich selbst: „mal unabhängig davon, ob mir als Bürger das gefällt … gefällt mir als potentiell Betroffenem tatsächlich nicht (ich war ja auch dort), aber Steuern, GEZ, Speichelproben, Verkehrs- und Alkoholkontrollen gefallen mir als Bürger ebenfalls nicht. Doch sie sind schon sinnvoll.“ Ich stelle mich aber gern mal auf aktuelle Gegenpositionen und überlege, ob nicht vielleicht auch etwas dafür spricht und ob wirklich alles so furchtbar ist, wie alle behaupten.

    2. Die Polizei füllt eine Datenbank, wer mit welcher politischen Motivation zu Demo X gegangen ist? Ich bin mir nicht so sicher, ob man anhand von ermittelten Aufenthaltsorten und Bewegungsdaten politische Motivationen auslesen kann. Klar – wenn ich eine SMS an einen als „Nazi“ oder „Anti-Deutsch“ Registrierten sende, könnte schon jemand etwas dahinein interpretieren. Aber wie soll man politische Motivationen erkennen, wenn der bislang unregistrierte Bürger X mit dem ebenfalls unregistierten Bürger Y telefoniert? Mir ist zwar bekannt, dass das eigentlich abhörsichere GSM-Protokoll inzwischen geknackt ist und so naiv bin ich nun auch nicht, dass ich staatlichen Stellen da nichts zutraue, aber es wurden (angeblich) keine Inhalte von Nachrichten und Gesprächen erfasst. Was sagt uns also das Telefonat zwischen X und Y über ihre politische Motivation, während sie auf zwei Seiten des Hbf stehen? Die können sich auch bei McDonalds verabredet haben. Wenn wirklich herauskäme, dass tatsächlich Gesprächs- und SMSinhalte erfasst und gespeichert wurden – dann wäre es tatsächlich ein echter Skandal. Ich weiß nicht, ob sich die Sächsische Polizei diesen GAU leisten könnte, falls so etwas herauskommt. Insofern denke ich schon, dass sie das nicht getan haben.

    3. Ist Daten löschen tatsächlich immer schlechter, als Daten gar nicht erst zu sammeln? Da ich auch mit Computern zu tun habe, weiß ich, wo manchmal noch uralte Daten plötzlich wieder auftauchen. Insofern hast Du Recht. Andererseits: Wenn man in der EDV klare Vorgaben einhält, ist eine Datensicherheit durchaus machbar. Wenn nachprüfbar wäre, dass die erfassten Daten nach einer Zeit X auch in den Backups vernichtet werden (so, dass sie nicht wiederherstellbar sind – was technisch durchaus machbar ist), dann würde ich mit dem Kompromiss leben können, dass solche FZA stattfinden. Allerdings nur, wenn auch Ermittlungserfolge darüber nachweisbar wären. Und damit sieht’s wohl etwas schlecht aus – sieh auch mein nächster Text.

  3. Es wurden in einem sehr begrenzten Umfang namentlich bekannte Verdächtige abgehört. Diese Abhöraktion war (bezogen auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung) genehmigt. Sie hat mit dem Erfassen der anderen Daten m.W. nichts zu tun.

  4. Naja – könnte auch wieder richtig sein. Es wurden anscheinend nur 2 konkrete Verdächtige abgehört. „Könnte“ und „anscheinend“ schreibe ich deshalb, weil ich es nicht weiß. Es ist schon etwas eigenartig, wenn zuerst (sinngemäß) gesagt wird, „einige Handydaten wurden erfasst, aber keine Inhalte“, dann kommt heraus „sehr viele wurden erfasst“ und nun sogar noch „na, gut – doch auch einige Inhalte„.

    Da wird man irgendwann vorsichtig, was man glauben soll. Vielleicht hätte die Polizei einfach mal von Anfang an die komplette Wahrheit erzählen sollen?

  5. Die Informationspolitik sieht sehr unglücklich aus. Aber es handelt sich insgesamt um mehrere völlig unterschiedliche technische und juristische Verfahren mit unterschiedlichen Zuständigkeiten.

    Inakzeptabel ist die Zweckentfremdung von Daten in Verfahren, für die sie nicht erhoben werden durften. Inakzeptabel ist es auch, wenn Journalisten, Anwälte und Parlamentarier nicht von der Datenauswertung ausgenommen werden.

  6. Für mich sind Überwachung und Transparenz siamesische Zwillinge.

    Ich kann sowohl Politiker als auch die Polizei verstehen, ebenso die Kritiker.

    Reines Datensammeln ist kein Verbrechen, es kommt drauf an, was man daraus macht bzw. machen will. Und das ist m.E. auch der Punkt, an dem sich diverse Diskussionen entfachen.
    Wenn ich als Pendant mal die DDR und die Stasi nehme, dann ist es für mich einnerseits immer wieder erhellend mit welchen Mitteln versucht wurde, für „Recht und Ordnung“ zu sorgen und andererseits wie wenig dabei letztlich erreicht wurde. 90% gingen „nach hinten“ los – mit unabsehbaren sozialen und finanziellen Nebenwirkungen.
    Und so ist das im Grunde auch jetzt, nur das sich die Mittel der Datenbeschaffung erweitert haben und somit die Datenbanken. Ebenso die Fehlinformationen und Fehlinterpretationen. Nach jedem Datenchaos steht man wieder dort, wo Sokrates vor über 2000 Jahren schon war … wir wissen, dass wir nichts wissen 🙂

  7. Es kann ja sein, dass im Sinne der Vorbeugung und Ermittlung die Aktionen der Polizei alle nachvollziehbar sind, aber wenn dann scheibchenweise immer noch etwas mehr herauskommt, ergibt das schon ein seltsames Bild: Inzwischen erschien bei Spiegel online ein Artikel „Dresdner Polizei spähte auch Busreisende aus„.

    Okay, andererseits können Ermittlungen auch nicht funktionieren, wenn die Polizei immer sämtliche aktuellen Handlungen im Internet ankündigt: „Wir werden jetzt die Telefone der Verdächtigen Max Müller und Theo Mustermann abhören!“. Da kann man denen auch gleich eine SMS senden: Telefoniert mal die nächste Stunde besser nicht!

  8. Es ist immer das Gleiche, wie schon bei der Stasi und ihren Fans, die sie bis heute verteidigen: „Wer nichts zu verbergen hat, kann seine Daten doch Preis geben…“ Diese Einstellung ist einfach nur krank. Ich habe ein Privatleben, da hat auch die Polizei nichts drin zu suchen. Sonst können wir alle bei Geburt einen Chip implantiert bekommen, damit man uns pausenlos überwachen kann. Am Besten jeden vorsorglich einsperren, man könnte ja mal was anstellen. Diese Denke ist gefährlich…

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