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Jüdische Gene

Ist es richtig, Thilo Sarrazin so viel Aufmerksamkeit schenken? Wenn ein Mensch, der 10.000€ Monatsgehalt bezieht, sich immer wieder in zynischer Überheblichkeit über Sozialhilfeempfänger äußerte (Beispiele siehe unten), dann sollte er eigentlich längst als indiskutabel abgeschrieben sein. Selbst wenn er andererseits einige Dinge angesprochen hat, die mehr oder weniger richtig sind – der Ton macht die Musik. Und wer Bücher über Probleme mit Migranten sucht, könnte u.a. besser Kirsten Heisig lesen.

Aber darum soll es hier gar nicht gehen. Heute erschienen viele Artikel, weil Sarrazin irgendwas mit „Judengenen“ oder „jüdischen Genen“ oder so etwas in der Art gesagt hatte, was nun allgemein als sein Todesurteil betrachtet wird. Es scheint aber – wie üblich – kaum jemand gelesen zu haben, was er konkret und in welchem Zusammenhang gesagt hat. Inzwischen wird schon behauptet, er zündele mit Rassenhygiene und negativer Eugenik. Und er solle in die NPD eintreten. Nun gönne ich zwar einerseits der SPD, endlich einen Grund für den Parteiausschluss Sarrazins gefunden zu haben, aber man könnte ja auch einmal ein paar Gänge zurückschalten und sich fragen:

Was hat Thilo Sarrazin eigentlich konkret gesagt?

Interviewauszug aus Welt am Sonntag (1):

Welt am Sonntag: Wer genau ist jenes „Wir“, von dem Sie im Buch sprechen?

Sarrazin: Die Identität eines Volkes oder einer Gesellschaft ist ja nichts Statisches, dennoch gibt es sie. Es gibt eine französische, deutsche, holländische Identität. Wenn es richtig läuft, wachsen Zuwanderer in solche Identitäten hinein, sie lösen sich aber irgendwann in dieser Identität auf, das Bild vom Melting Pot ist ja nicht falsch. Völker ändern im Laufe der Zeit ihr Gesicht, aber sie tun dies aus der kontinuierlichen Fortentwicklung ihrer Identität heraus. Es gibt über mehr als 1000 Jahre ein kulturelles Kontinuum der Entwicklung aus dem westfränkischen Reich in das heutige Frankreich und aus dem ostfränkischen Reich in das heutige Deutschland. Die kulturelle Eigenart der Völker ist keine Legende, sondern bestimmt die Wirklichkeit Europas.

Welt am Sonntag: Gibt es auch eine genetische Identität?

Sarrazin: Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden.

Welt am Sonntag: Wir haben also andere Gene als die Menschen hier im türkischen Café?

Sarrazin: Sie bringen mich nicht aus der Ruhe. Ich sage meine Dinge. Bis vor wenigen Jahrzehnten spielte Einwanderung für den Genpool der europäischen Bevölkerung nur eine geringe Rolle und vollzog sich überdies sehr langsam. Drei Viertel der Ahnen der heutigen Iren und Briten waren bereits vor 7500 Jahren auf den Britischen Inseln. Es ist nämlich falsch, dass es Einwanderungsbewegungen des Ausmaßes, wie wir sie heute haben, schon immer in Europa gegeben hätte. Seit der Völkerwanderung gab es solche Verschiebungen nicht mehr. In meinem Buch rede ich zudem nicht von Türken oder Arabern, sondern von muslimischen Migranten. Diese integrieren sich überall in Europa deutlich schlechter als andere Gruppen von Migranten. Die Ursachen dafür sind nicht ethnisch, sondern liegen offenbar in der Kultur des Islam. Vergleichen Sie die Integrationserfolge von Pakistani und Indern in Großbritannien.

Welt am Sonntag: Wer „Kultur“ sagt und „Gene“ und noch lieber „Rasse“ gesagt hätte, der muss mit Vorwürfen rechnen.

Sarrazin: Ich bin kein Rassist.

Er wurde also ausdrücklich nach „genetischer Identität“ gefragt und antwortete darauf. Dabei ausgerechnet Juden zu erwähnen war schön dumm – er hätte wissen müssen, wie das ausgeht. Aber gerade deshalb kann man sich einmal fragen, ob auch so ein Aufruhr entstanden wäre, wenn er stattdessen beispielsweise gesagt hätte, „alle Iren teilen ein bestimmtes Gen“, oder Schweden, Griechen … sonst wer. Es ist dabei völlig nebensächlich, dass es keine jüdischen Gene geben kann (schon deshalb, weil nicht alle Juden aus Israel, sondern viele aus Asien und Osteuropa stammen und weil Judentum auch kein Volk, sondern eine Religion bezeichnet). Es ist nebensächlich, ob sich ein Durchschnitts-Baske möglicherweise durchaus genetisch leicht beispielsweise vom Durchschnitts-Spanier unterscheidet. Denn man wird vielleicht solche Unterschiede feststellen können, möglicherweise auch zwischen Ostfriesen und Bayern, sofern sie seit Generationen aus der Gegend stammen. Das hat noch lange keine Auf- oder Abwertung zur Folge. Biologen würden solche genetischen Unterschiede völlig wertungsfrei diskutieren, wenn es dabei um Tiere einer Art aus unterschiedlichen Biotopen ginge. Bei Menschen könnte man bei gefundenen Unterschieden ableiten: Unter anderem deshalb sind wir eben etwas unterschiedlich. Hat Sarrazin gesagt oder angedeutet, es gäbe schlechtere Rassen unter den Menschen? Eigentlich nicht. Das Wort „Rasse hat er noch nicht einmal erwähnt.

Er hat etwas von jüdischen Genen erwähnt. Die Art der Reaktion in den Medien darauf war für mich heute der interessanteste Teil an der Geschichte.

Sarrazin über Hartz4-Empfängern (nicht komplett):

„Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag“.

„Wenn man sich das anschaut, ist das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern das Untergewicht.“

„Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können“

„schon für 3,76 Euro am Tag gibt es drei volle Mahlzeiten“ (letzteres hier ausführlicher)

(1) WELT online, 29.08.10, Ingterview komplett: „Mögen Sie keine Türken, Herr Sarrazin?“

Nachtrag, 1.9.10:

Herr Sarrazin könnte sich notfalls auf diesen Artikel berufen:
Jüdische Allgemeine: „Genetik – Neueste Forschungen bestätigen die gemeinsame nahöstliche Herkunft aller Juden“

oder auch auf den
«Jüdisches Gen» erzürnt die Deutschen und macht Israelis stolz

2.9.10:

Bemerkenswert ist, mit welchen Krampfmethoden die WELT trotzdem noch eine Kritik daraus zimmert, dass Sarrazin nichts negatives über Juden gesagt hat: Nun ist Sarrazins positive Einstellung gegenüber Juden also plötzlich schlecht: Thilo Sarrazins Obsession mit den Juden

 

17 Comments

  1. Thilo Sarrazin polarisiert und das gewaltig! Es scheint aber unserer derzeitigen Gesellschaft und Medienberichterstattung eigen zu sein, nur die Oberfläche zu betrachten. Und das ist das Problem. Niemand macht sich die Mühe mal nachzudenken was der Mann eigentlich sagen will. Um es vorweg zu nehmen, ich halte die Äußerungen ebenso für sehr zynisch und ich bin auch kein Rassist. Aber, in Deutschland darf Niemand irgend etwas Kritisches über Juden sagen, da wird man sofort in die Nazi-Ecke verfrachtet. Was will Thilo Sarrazin noch sagen? Es gibt durchaus Verbindungen zu Kirsten Heisig. Sie zeigt die Probleme klar auf, Thilo Sarrazin überspitzt sie und fügt unklugerweise die Genetik mit ein. Fakt ist, dass wir in unserer Gesellschaft eine Überalterung haben, die sich noch weiter fortsetzen wird. Fakt ist, dass Frauen mit höherer Bildung (Hochschulabschluss) weniger Kinder gebären als Frauen mit niedrigerer Bildung. Nur sind da nicht die Migranten Schuld, sondern die gesellschaftlichen Umstände. Wenn wirklich Arbeit und Beruf so vereinbar wäre, würden sicherlich auch Frauen mit höherer Bildung mehr Kinder bekommen. Davon ist die Realität noch weit entfernt. Fakt ist, dass Kinder, die Eltern mit einem höheren Intelligenzquotienten haben, auch in der Schule besser abschneiden. Ganz einfach, weil sich die Eltern anders und besser darum kümmern(können) und die Kinder ganz anders an Bildung herangeführt werden. Kinder aus den sogenannten „bildungsfernen“ Bevölkerungsschichten werden von ihren Eltern nicht oder wenig an Bildung herangeführt. Sie besuchen die Schule, wenn sie nicht gerade schwänzen, mehr nicht. Kein Buch, kein Theater, Freizeit, Sportklub etc. Der Werdegang ist vorprogrammiert. Durch immer mehr Einsparung an Lehrern und Schulschließungen mit immer längeren Schulwegen wird es nicht besser, diese Kinder zu erreichen(ich rede hier mit Absicht nicht von Hartz IV Empfängern, da gibt es nämlich leider auch intelligente). Diese Schicht bilden in den deutschen Großstädten eben leider auch viele Migrationskinder. Ich habe eine Bekannte, die hat in Stuttgard in einer Grundschulklasse nur 1 deutsches Kind. Die anderen sind bunt zusammengewürfelt Türken, Russen, Kroaten. Alles unterschiedliche Kulturen, die Kinder sprechen kaum deutsch, da zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird. Die Eltern kümmern sich in der Regel wenig was in der Schule passiert, genauso wenig wie deutsche Eltern auf niedrigem Bildungsniveau. Türken haben eine andere Lebensweise als Russen, und die wiederum anders als Kroaten und die wiederum anders als Deutsche. Wie will man das Alles verflechten? Eine äußerst schwierige Frage. Und hier stimmt es schon, dass ein höheres Bildungsniveau, auch von Migranten, eine bessere Integration ermöglicht. Die haben nämlich ein unbedingtes Interesse daran sich zu integrieren. Ich arbeite mit deutschen, russischen und tschechischen Ärzten zusammen und bis auf unterschiedliche Mentalitäten, gibt es kein Problem. Auch deren Kinder haben hier keine Probleme in Schule und Freizeitgestaltung.
    Kirsten Heisig hat andere Erfahrungen gemacht, mit Migrationskindern, die kriminell gemacht werden (sie sind es ja nicht von Geburt an), mit ganzen Familienclans, die einen unerschöpflichen Nachwuchs in den Ursprungsländern haben, die jeden Schlupfwinkel im deutschen Gesetz kennen, die jedwede soziale Leistung besser kennen als manch armer oder arm gewordener Deutscher. Dort sollte die Politik endlich mal Gesetzte machen. Viele Staaten haben ein Einwanderungsgesetz. Warum nicht in Deutschland? Es würde nicht nur für die Deutschen gut sein, sondern auch für diejenigen Migranten, die sich hier wirklich integrieren möchten. Es würde klare Regeln schaffen. Dann kommen auch ausländische Fachkräfte nach Deutschland, die sich derzeit noch zurückhalten. Dann würden solch radikale und zynische Thesen eines Herrn Sarrazin überflüssig oder hätten nicht so eine große Anhängerschar. Dann müsste eine kluge und aufrichtige Jugendrichterin nicht Selbstmord begehen. Dann wäre vielleicht auch Geld da, um Kinder aus „bildungsfernen“Schichten zu fördern, egal welcher Herkunft sie sind. Darum sollte sich die Bundesregierung Gedanken machen.
    Sorry, der Kommentar ist ziemlich lang geworden!

  2. Sorry – aber das Judentum versteht sich nicht als Religion allein,sondern als Volk. Streng genommen ist nur der ein Jude, der von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Konvertierung zum Judentum ist eine äußerst schwierige Angelegenheit und erledigt sich nicht mit einem kleinen chirurgischen Eingriff und einem Glaubensbekenntnis. Eine Religionswissenschaftlerin der TU hat mal eine Vortragsreihe über das Judentum im letzten WS der Seniorenakademie gehalten. Ich erinnere mich, daß sie davon sprach, daß ein Konvertit Hebräisch lernen muß und eine quasi Aufnahmeprüfung über Thora und Talmud ablegen muß.
    Vielleicht erklärt das den überschäumenden Eifer von Generalsekretär Kramer – der ist nämlich ein Konvertit.

  3. @ FGönther: Hm, na gut. (Wieder nicht sauber genug recherchiert …)

    Aber zumindest wird es sicher genetische Unterschiede zwischen den einzelnen Ethnien geben, da sie über lange Zeiträume voneinander getrennt waren. Außerdem gibt es auch noch die Chasaren , die eine völlig andere Herkunft hatten und eines Tages komplett konvertierten. In der Wikipedia gibt es dazu noch die Bemerkung „Auffassungen, nach denen ein großer Teil der Chasaren im osteuropäischen Judentum aufgegangen ist, widersprechen genetische Untersuchungen“, was immerhin zeigt, dass es durchaus genetische Unterschiede zwischen Völkern gibt und man bei Bedarf auch unaufgeregt und neutral darüber schreiben kann. Ohne gleich Faschismusvorwürfe zu kassieren.

  4. @ Christiane:

    Aber, in Deutschland darf Niemand irgend etwas Kritisches über Juden sagen, da wird man sofort in die Nazi-Ecke verfrachtet.

    Dafür darf man aber umso mehr gegen Israel sein und sich dabei sogar als „links“ einstufen. Das ist zur Zeit ziemlich paradox.

    Jedenfalls ist ja das Verblüffende an Sarrazins Äußerung, dass er noch nicht einmal Juden kritisiert hat. Trotzdem reagierten die meisten Journalisten gleich wieder sehr vorhersehbar.

    Ansonsten kann ich den Kommentar nur bestätigen. Wenn unsere Meinungsmacher und Politiker sich mehr mit den beschriebenen Problemen beschäftigen würden, als nur zu drastische Beschreibungen derselben zu attackieren, wäre viel gewonnen. In einer gleichberechtigten Gesellschaft sollte man auch alle vorhandenen Probleme aller Bevölkerungsgruppen gleichberechtigt besprechen können.

  5. Rein akademisch kann man über alles diskutieren, aber nicht im Zusammenhang mit den Problemen Bildung und Chancengleichheit. Man hat ja z.B. viele interessante genetische Untersuchungen zur Verbreitung und Wanderung der Vorfahren des Menschen und der Urmenschen angestellt. Soweit ist alles im grünen Bereich.

    Inakzeptabel ist es in jedem Fall, wenn jemand aus den Genen der ethnischen Gruppen irgendeine Wertigkeit der Menschen (Intelligenz, Fleiß …) kausal ableitet. An diesem Punkt ist meiner Meinung nach jede vernünftige Diskussion beendet.

    Denn die Intelligenz und die Ausstattung mit Wissen sind definitiv nicht unabänderlich vererbt oder genetisch vorbestimmt. Jeder einzelne Mensch kann während seines ganzen Lebens den Geist trainieren, man kann immer wieder dazulernen, man kann formelle Bildungsabschlüsse erreichen, man kann durch Bildung aufsteigen.

    Sarrazins Äußerungen zu irgendwelchen Genen im Zusammenhang mit seiner Buchvorstellung waren völlig abwegig, weil die Genforschung gerade nicht zur Klärung der sozialen und gesellschaftlichen Probleme beitragen kann.

    Dadurch wurde eine sachliche Diskussion über die Pflichten und Rechte, über die gesellschaftlichen Werte und über die Chancen der Einwanderer verhindert. Und jede Verzögerung dieser sachlichen Diskussion schadet unserem Land nachhaltig.

    Es ist offensichtlich, dass in bestimmten Gruppen Defizite gehäuft auftreten, man beobachtet eine Korrelation zwischen sozialem Milieu und Bildung. Das muss man natürlich offen diskutieren. Aber dann nicht unter dem Aspekt der »genetischen Vorbestimmung«, sondern unter dem Aspekt der möglichst effektiven Lösung des Problems:

    – wie kann man Sprachbarrieren beseitigen?
    – wie kann man kulturelle Vorbehalte gegen Bildung beseitigen?
    – wie kann man Respekt gegenüber Schule und Lehrern erreichen?

    Letztlich müssen wir den Anteil der (aus)gebildeten und produktiven Menschen erhöhen, wenn wir unseren sozialen Standard auch nur annähernd halten wollen. Der erste Schritt kann nur eine ehrliche Analyse der Stärken und Schwächen sein. Dazu wäre es hilfreich, wenn Herr Sarrazin mal für eine Weile nur noch durch die Nase atmen würde …

  6. Inakzeptabel ist es in jedem Fall, wenn jemand aus den Genen der ethnischen Gruppen irgendeine Wertigkeit der Menschen (Intelligenz, Fleiß …) kausal ableitet. An diesem Punkt ist meiner Meinung nach jede vernünftige Diskussion beendet.

    Sehe ich genau so. Allerdings hat S. keine solche Wertigkeit erwähnt. Zumindest nicht in dem WELT-Interview. Ob er woanders einmal so etwas angedeutet hat oder ob er in seinem Buch so etwas schreibt, weiß ich nicht.

    Sarrazins Äußerungen zu irgendwelchen Genen im Zusammenhang mit seiner Buchvorstellung waren völlig abwegig …

    Ja, klar. Aber er fing nicht mit dem Thema an, sondern bekam ja eine diesbezügliche Frage gestellt. Die er allerdings – wie schon erwähnt – äußerst unüberlegt beantwortete. Übrigens finde ich – völlig unabhängig von dem Thema – diesen Satz nicht richtig

    Rein akademisch kann man über alles diskutieren, aber nicht im Zusammenhang mit den Problemen Bildung und Chancengleichheit

    Warum nicht? Diskutieren kann man über alles. Es gibt durchaus akademische Bereiche, die sich mit diesen Themen befassen. Allerdings nicht, um nachzuweisen, dass Bildungsvermittlung bei bestimmten Leuten halt verschwendete Zeit sei, sondern um bei möglichen Problemfällen gezielter zu helfen.

  7. Soziale Probleme kann man nicht mit den Methoden der Genetik lösen. Eine Diskussion über Vererbung bringt uns (meiner Meinung nach) kein Stück weiter. Denn vererbte Merkmale betrachtet der Mensch letztlich als unabänderlich. Die Körpergröße und die Hautfarbe können wir nicht beeinflussen; noch gravierender fallen Erbanlagen ins Gewicht, die als Ursache für tödliche Krankheiten gelten.

    Aber für Intelligenz gilt dieses »unabänderlich« einfach nicht. Erstens schon deshalb, weil man Intelligenz gar nicht in der gleichen Weise messen kann wie die körperlichen »Parameter« eines Menschen. Zweitens, weil Intelligenz nicht statisch ist, sondern sich bei jedem Menschen dynamisch entwickeln kann (sicher bis zur Grenze seines persönlichen Potentials, aber das ist nun sicher nicht durch die »Rasse« bedingt).

    Will man Intelligenz auf »Völker« beziehen, kommt auch noch die Frage der Entwicklung dazu. Es gab ja durchaus Perioden der Geschichte, in denen unsere Vorfahren im weltweiten Vergleich nicht allzu gut abgeschnitten hätten. Heute stehen wir ganz gut da. Aber in den nächsten Jahrzehnten erleben vielleicht andere Völker ihre Phase der Aufklärung und entwickeln sich rasant weiter. Schon an der historischen Entwicklung (Auf und Ab der Kulturen) zeigt sich doch, dass die genetische Bestimmtheit von Intelligenz sehr stark zu hinterfragen ist.

  8. Ich frage mich, wie wir nun eigentlich bei dem Thema gelandet sind? Dass man soziale Probleme nicht mit der Genetik lösen kann, ist doch klar*. Deine Bemerkung über „Bildung und Chancengleichheit“ hatte ich auch mehr im pädagogischen Bereich verortet. Natürlich kann man auch pädagogische Probleme nicht mit Genetik lösen. Mir ging es nur darum, dass man vielleicht doch alles akademisch diskutieren kann. Allerdings nicht genetisch lösen. Irgendwo haben wir uns wohl etwas missverstanden …

    (* In dem alten Genesis-Song „Get them out by Friday“
    wird ein soziales Problem allerdings genetisch gelöst!)

  9. „@ FGönther: Hm, na gut. (Wieder nicht sauber genug recherchiert …)“

    Alles klar. Siehe auch http://en.wikipedia.org/wiki/Genetic_studies_on_Jews

    Der Knackpunkt ist m.E. der, daß man Herrn S. unterstellt, er würde damit irgendeine Wertung vornehmen. Die erfolgt doch erst in dem tollen Satz

    „Welt am Sonntag: Wer „Kultur“ sagt und „Gene“ und noch lieber „Rasse“ gesagt hätte, der muss mit Vorwürfen rechnen. “

    der nur eine bösartige Unterstellung enthält. Genauso gut hätten die superschlauen Redakteure auch ausführen können: „wer „guten Tag“ sagt und „bitte nehmen Sie Platz“ und noch lieber „He.. Hi…!“ gesagt hätte, der muß mit Vorwürfen rechnen“.

    Absoluter Blödsinn ist die Frage: „Welt am Sonntag: Wir haben also andere Gene als die Menschen hier im türkischen Café? “
    Ja was denn sonst ?
    Wenn dem nicht so wäre, würden wir ja alle gleich aussehen und wäre alle bei der WELT oder BILD als RedakteurIn mit Entlarvungsjournalismus geschäftigt.

    Eine ganz andere Baustelle ist der Zusammenhang zwischen Genen und Intelligenz – wobei man hier erst mal klären sollte, was Intelligenz überhaupt bedeutet.

    Wobei es sicher schwer ist, soziale und biologische Komponenten, die letztendlich für die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit und seine soziale Kompetenz verantwortlich sind, auseinanderzuhalten. Nur sollte man weder die eine noch die andere Komponente per se unter den Tisch verbannen. Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Lyssenkoismus

    Zur Person Sarrazin und seinen Provokationen kann ich vorerst nur sagen, daß der Mann ja ein echter K.B. – wie der schon guckt !! – zu sein scheint. Seine Leistungen als Bundesbänker , ehemaliger Berliner Finanzsenator und DB-Manager kann ich nicht beurteilen. Mir ist aber seine Art zu sagen was er denkt, wesentlich sympathischer, als der landesübliche verbale Einheitsbrei mit Himbeersoße, der quer durch alle Parteien Usus geworden ist.

  10. Diese beiden Fragen der Redakteure waren tatsächlich reichlich seltsam. Dass jemand mit klaren Worten beim Volk gut anzukommen scheint, beobachte ich auch an mir selbst. Ich fand’s zum Beispiel damals ziemlich gut, als Peer Steinbrück den (eigentlich harmlosen) Spruch mit der Kavallerie und den Indianern von sich gab. Das fiel sehr angenehm aus dem Rahmen, führte aber logischerweise zu großer Empörung in den Medien. Und deshalb sondern Politiker sicherheitshalber doch nur klangvolle Inhaltslosigkeiten ab. Das wiederum nervt das die meisten von uns und daher resultiert wohl auch die angeblich breite Zustimmung in der Bevölkerung zu Sarrazin.

    Was ist ein K.B.?

    (Dass ich den letzten Kommentar erst freischalten musste, lag an den beiden enthaltenen links. Alles mit mindestens 2 links wird als potentielle Spam eingestuft.)

  11. Zum Thema „Gene“. Sarrazin hat sich aufs Glatteis führen lassen durch die Frage der Journalisten, doch das „muss“ er abkönnen, kann er auch und selbstkritisch ist er offenbar auch, als er diese Gen-Sache später als „Unfug“ bezeichnet“ haben soll.
    M.E. könnte Sarrazin eher über eine Art Seele, meinetwegen die jüdische Seele oder die baskische Seele oder einen Seelenanteil gesprochen haben. Der Schwenk zu den Genen war in der Folge ein Fettnapf ins Quadrat, doch da Sarrazin da Übugn drin hat, dürfte es ihm hilfreich gewesen … letzten Endes.

    Ansonsten habe ich – in der gewohnten Micha-Länge 😉 – mir hier mal noch ein paar weitere Gedanken gemacht …
    „Das Sarrazin-Gen“ -> http://pirat-micha.blogage.de/de/entries/2010/9/7/Das-Sarrazin-Gen

  12. Ja, er hat aber nicht über die Seele geredet, er wurde ja auch nicht nach so etwas gefragt. Einen Schwenk zur Genetik gab es nur seitens der Journalisten.

    Übrigens wäre eine resultierende Diskussion um eine“Seele“ auch völlig nebulös geworden, denn wie soll man so etwas definieren? Gene sind wenigstens – im Gegensatz zur Seele – wissenschaftlich nachweisbar.

  13. Genau da liegt ja auch das Problem … wie häufig in der Wissenschaft.

    Sarrazin kommt aus der Naturwissenschaft und sein Einstieg zum Thema Integration war a.) sein Frau, die wohl mehrere Jahrzehnte an Schulen mit hohem Migrantenanteil gelehrt hat und b.) seine „Liebe“ zu Statistiken und Zahlen, mit Fokus auf die monitäre Seite – ganz seinem Berufsstand entsprechend.

    Für mich ist die sog. Integration auch finanziell ein Desaster. Die Integration von Hartz-IV-Empfängern ebenso … erlbe das ja selbst seit Jahren.

    Die Unwillig- oder Unfähigkeit von 10-20% baden die restlichen 80-90% mit aus.

    Jeder türkische – ich nehme jetzt mal „die“ Türken – lernt automatisch deutsch, wenn er sich mit Gleichaltrigen abgibt. Spätestens wenn er mal aus’m Kiez rauswill. Spätestens wenn er ne Freundin haben möchte …

    Kein Mensch würde auf die Idee kommen, Sachsen oder Bayern gutes Deutsch beibringen zu wollen … ist sowieso zwecklos 😉 … kann jeder nur selbst machen.

    Ich habe ich gestern rund 40 Minuten mit einem befreundeten Libanesen, der mit eine deutsche Frau verheiratet ist und in Dtl. lebt, am Telefon unterhalten.
    Er meinte, dass beide der Ansicht sind, dass Migranten Deutsch lernen sollten, wenn sie in Dtl. leben. Ich meinte daraufhin, dass ich das nicht so sehe.

    Die ältere Generation, ich wähle jetzt mal eine 65jährige Türkin, die 1965 aus Ost-Anatolien nach Deutschland gekommen ist … von ihr zu verlangen, dass sie Deutsch lernen solle, ist für mich absurd.
    Deutschland wollte wachsen, holte Arbeitskräfte an und nun sollte man in Dankbarkeit auch mal die Menschen einfach so leben lassen wie sie es wollen.

    Was die 3. und 4. Generation betrifft, so ist das zu mindestens 50 % ein Versagen der Politik ab 1980. Der schlecht integrierte Türke ist nichts anderes als der schlecht integrierte Ossi, nur dass er eben eine andere Sprache spricht (eigentlich auch nicht) und eine andere Religion verfolgt (ohne auch nur „U-Boot-Moslem“ ist wie viele Christen, die nur Kirchensteuer zahlen, jedoch nicht an Gott glauben).

    Wer keinen Bock hat, sich mit Deutshcland zu beschäftigen, dem kann ich das nicht verübeln. Das kommt von ganz allein und jegliches Forcieren führt eher zu mehr Ablehnung.
    Ich finde Angebote machen sinnvoll, doch keine verpflichtenden … das geht immer nach hinten los. Und wenn „der Ali“ dann irgendwann sagt „Du kannst mich mal … isch mach was isch will.“, dann kann ich das voll und ganz nachvollziehen.

    Zudem um auf die Sarrazin zurückzukommen. Deutschland braucht keine Muslime, um sich abzuschaffen, dass schaffen die Deutschen schon allein 😉 … das haben sie schon mehrmals in der Geschichte getan, warum nicht nochmal – vielleicht klappt’s ja diesmal ohne Krieg. Wäre mir ganz recht.

    Zur Seele … Sinnvoll wird die ganze Diskussion erst außerhalb des festen wissenschaftlichen Rahmens. Goethe war auch Naturwissenschaftler, Finanzminister und konnte gleichzeitig dichten, schreiben und und und …
    Die Sarrazin-Missverständnisse sind auch eine Folge der Spezialisierung und dem damit einhergehenden Verlust einer gemeinsamen Sprache.

    Hmm, genug für jetzt … ich schweife ab 😉

  14. Ich denke nicht, dass die 65jährigen Türkinnen das Problem sind, wenn sie nicht die Landessprache beherrschen. Ein Problem ist es bei allen Leuten, die mit deutschen Behörden oder anderen Einrichtungen zu tun haben. Dass eine türkische Oma notfalls ihre Tochter als Dolmetscherin mit zum Arzt oder zu irgendeinem Amt nimmt, wäre ja kein Problem. Ein Problem scheint es ja eher bei jüngeren zu sein, wenn beispielsweise deren Kinder in der Schule sind und die Mütter die Sprache der Lehrerin nicht verstehen und deshalb die Briefe der Schule nicht lesen können oder nicht zu Elternabenden gehen usw.

    Da gibt es ja eine – möglicherweise schon bekannte – drastische Schilderung eines Referendars zu diesem Thema „Migrantenkinder in der Schule“.

    Andererseits finde ich aber, dass man es durchaus auch übertreiben kann mit dem Ruf nach Integration. Von ausgewanderten Deutschen verlangen wir es ja auch nicht, dass sie sich im Ausland unbedingt an die Landessitten anpassen. Ganz im Gegenteil – in Berichten über solche Leute wird oft lobend erwähnt, dass sie sich ihre Identität bewahrt haben und mit ihren Kindern auch noch Deutsch sprechen. Allerdings meist zusätzlich zur Landessprache. Ich habe übrigens kürzlich erst einem Ausländer vorgeworfen, sich nicht integrieren zu wollen. Konkret war es ein ehemaliger Kollege (geborener Däne), der nach einem mehrjährigen Intermezzo bei uns nach Hongkong übersiedelte. Ich wollte wissen, ob er inzwischen schon chinesisch kann? Nein, braucht er nicht, weil in seiner Arbeitsstelle glücklicherweise englisch gesprochen wird. Deshalb kam mein Vorwurf. Da er meine Art von Ironie kennt, wusste er, wie er es einzustufen hat.

    Bei der Gelegenheit noch (da es ja hier um Sarrazins Gene ging): In der SZ gab es gestern einen Artikel Wie Gene die Intelligenz beeinflussen . Darin steht, dass für Intelligenz zunächst das soziale und kulturelleUmfeld und die Erziehung usw. ausschlaggebend sind, allerdings sind genetische Veranlagungen durchaus auch eine Komponente. Sarrazin übrigens soll in seinem Buch durchaus etwas über Juden geschrieben haben, aber im positiven Sinn, wie heute in der Zeitung stand:

    „Das meinte Sarrazin nicht antisemitisch. Ausdrücklich wünscht er die Zuwanderung osteuropäischer Juden, denn diese seien „mit einem 15 Prozent höheren IQ als dem der deutschen Bevölkerung“ ausgestattet. Im Jahre 1900 machten jüdische Schüler in Deutschland 7,5 Mal so oft Abitur wie Schüler der christlichen Mehrheit, jüdische Mädchen besuchten 11,5 Mal so häufig Höhere Töchterschulen. Knapp 60 Prozent aller jüdischen Schüler erlangten einen höheren Abschluss als Volksschule, aber nur sieben Prozent der christlichen. Bei einem Bevölkerungsanteil von einem Prozent stellten die Juden zehn Prozent aller Studenten, diese studierten schneller als ihre christlichen Kommilitonen, legten die besseren Examina ab…“

    Und heute gab‘s in der SZ noch einen Gastbeitrag aus der anderen SZ , den ich auch nicht uninteressant fand.

  15. Das Problem ist letztlich die Arbeitsmarktpolitik und die Ablehnung der Deutschen selbst.
    Der „Ossi“ wurde mitunter als der Türke der 1990er Jahre bezeichnet. Es gab Ausgrenzung, sie drückten die Löhne usw. usf.
    Der Deutsche braucht eben seinen Sündenbock – so scheint es.
    Keiner streitet ab, dass es solche und solche Migranten gibt, genauso wie es solche und solche Deutsche gibt. Da möche ich auch gern mal sehen, wie Leute zuerst vor ihrer eigenen Haustüre kehren.

    Witzigerweise fühlen sich offenbar ja doch die richtigen angegriffen 😉 …
    Ein Artikel in der „Jüdischen Allgemeinen“ schreibt auch interessantes: Hat Sarrazin recht? –
    Wie Juden zur Kritik an der Integrationsunwilligkeit von Migranten stehen ….
    http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/8575

    Naja, schaun mer mal … sollte Wulff Sarrazin abberufen bzw. absetzen, wird sowohl die Bundesbank als auch das Amt der Bundespräsidenten in seinem Ansehen leiden. Wie gesagt, nicht die Muslime oder wer auch immer schaffen Deutschland ab, das schaffen einige Deutsche schon von ganz allein 😉

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