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Poetische Kostbarkeiten

Wie sich vor wenigen Tagen gezeigt hat, akzeptiert die UNESCO gelegentlich doch Brücken in Flusstälern (1). Im Oberen Mittelrheintal darf eine solche gebaut werden, ohne dass das Gebiet damit seinen Status als Welterbe verliert, wie es in Dresden geschah.

Nun kann man diese beiden Welterbestätten mit ihren Brückenbauten eigentlich nicht so direkt vergleichen. Am Rhein geht es um einen Abschnitt von fast 100 km, auf dem der Fluss nirgends eine Brücke hat, in Dresden ging es um eine Brücke in der Stadt. Am Rhein hat man sich mit der UNESCO abgesprochen und dabei eine andere Stelle als die ursprünglich vorgesehene gewählt, in Dresden hätte man die Stelle wegen der bereits vorhandenen Straßenzüge nicht einfach ändern können.

Ein paar recht unterhaltsame Aspekte finden sich trotzdem:

Für solche Entscheidungen der UNESCO werden u.a. auch Gutachten vom Internationalen Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) eingeholt. Und anders als im Fall Dresden, wo man im Gutachten keine größeren Probleme in einem Brückenbau sah und die Titelvergabe für das Elbtal empfahl, riet ICOMOS von einem Brückenbau über den Rhein dringend ab (2). Da findet sich sogar die Formulierung „da das bisher nur in deutscher Fassung existierende umfangreiche Gutachten (zur Umweltverträglichkeitsprüfung, Anm. von mir) die kritischen Konsequenzen … wohl nicht ganz übersehen konnte, liegt bisher nur eine … englische Kurzfassung vor, mit der die Landesregierung das Projekt der UNESCO „unterjubeln“ möchte.“ Ein Dokument nur auf Deutsch, welches aber noch nicht einmal (wie vorgeschrieben) komplett auf Englisch vorliegt, sondern nur als solche Kurzfassung? Gab es da nicht auch so etwas Ähnliches in Dresden? Genau. Die zum Antrag mit eingereichten Anlagen zur Waldschlösschenbrücke waren nur auf Deutsch. Gut – die Bearbeiterin kam trotzdem damit zurecht (war selbst Deutsche), aber im Nachhinein wurde da ein Riesen-Problem hinein interpretiert. Und dann ist hier auch noch von „unterjubeln“ die Rede. Das hätte in Dresden passieren müssen – den Aufschrei könnte ich mir lebhaft vorstellen. Aber zurück zum eigentlichen Thema.

ICOMOS war also gegen die Brücke am Rhein. Trotzdem kam das UNESCO-Komitee hier „aufgrund von neu vorgelegten Studien“ zu dem Schluss, „dass eine Brücke … den einzigartigen Charakter des Mittelrheintals nicht grundsätzlich beschädige“ (1). Aha. Neu vorgelegte Studien? Mein Lieblingsautor mit dem lustigen Namen Eduard Zetera ist der Meinung (3), dass unter diesen Studien auch jene von Prof. Kunibert Wachten von der RWTH Aachen sein dürfte, die zu dem Schluss kommt, eine Brücke zwischen St. Goar und St. Goarshausen (ohne Blickachse zur Loreley) sei welterbeverträglich. Genau von demselben Prof. Wachten stammt nun aber auch ein anderes Gutachten, welches in Dresden als das „Aachener Gutachten“ bekannt ist. Darin wurde erklärt, dass eine Brücke im Dresdner Elbtal ganz schlecht sei, denn: „Die Waldschlösschenbrücke zerschneidet den zusammenhängenden Landschaftsraum des Elbbogens an der empfindlichsten Stelle und teilt ihn irreversibel in zwei Hälften.“ Wenn man das Aachener Gutachten einmal genauer liest (was ich getan habe), könnte man damit auch zur gegenteiligen Erkenntnis kommen, aber der (vorher erwünschte?) Fazit-Satz mit der „empfindlichsten Stelle“ und vor allem dem Wort „irreversibel“ war nun in einmal die Welt gesetzt und durfte ab sofort in keiner Brückenkritik und in keinem Zeitungsartikel mehr fehlen. Und führte dann auch mit zum Titelverlust.

Der gleiche Gutachter schreibt nun euphorisch zum Oberen Mittelrheintal: „Die geplante Rheinbrücke kann einem veränderten Selbst- und Raumverständnis Ausdruck verleihen, das die Sicherung und Weiterentwicklung des Welterbebereiches in einer integrierten sowie zusammenhängenden und nachhaltigen Raumentwicklung sieht und das für die Vermeidung wirtschaftlicher und sozialer Divergenzen der beiden Rheinseiten essenziell ist.“ (3)

Soso. Dass Brücken in Flusstälern laut Sichtweise ein und desselben Gutachters in einem Fall „Landschaften irreversibel zerschneiden“ (also schlimm sind), im nächsten Fall aber „einem veränderten Selbst- und Raumverständnis Ausdruck verleihen“  (also toll sind) ist völlig korrekt, nachvollziehbar und logisch. Und genauer betrachtet hat Prof. Wachten tatsächlich Recht, denn beide Aussagen (die eigentlich nur wohlklingend formulierte Gemeinplätze sind) stehen in überhaupt keinem Widerspruch. Selbstverständlich kann man bei jeder Brücke behaupten, sie würde „ veränderten Selbst- und Raumverständnissen Ausdruck verleihen“. Das klingt zwar reichlich schwülstig, ist aber nie falsch. Und selbstverständlich wird man auch jeder Brücke in Tälern andichten können, sie „zerschneide Landschaften irreversibel“. Nebenbei: Wie auch sonst? Etwa reversibel? Also umkehrbar? Das Wort “irreversibel” ist lediglich eine überflüssige, aber angenehm bedrohlich klingende Einfügung. Bei Poesie-Wettbewerben hätte die RWTH Aachen mit Texten Prof. Wachten jedenfalls gute Chancen.

Und auf dieser Basis entstehen dann UNESCO-Entscheidungen.

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Quellen

(1) Auswärtiges Amt, Pressemitteilung vom 30.07.2010: „Das Obere Mittelrheintal bleibt UNESCO-Welterbe“

(2) Internationaler Rat für Denkmalpflege (ICOMOS), Pressemitteilung vom 11.05.2009
(Nachtrag 2013:Dokument nicht mehr online)

(3) Blog „Quo vadis, Dresden: „Das Obere Mittelrheintal bleibt UNESCO-Welterbe“

Nachtrag: Da man auf „Quo vadis, Dresden?“ seit einiger Zeit auch kommentieren kann, stand ich gestern und heute erstmalig mit meinem Lieblingsautor im Gespräch (3). Leider ist die Konversation schon wieder vorbei. Da es aber nicht mehr zum Thema gehört: Siehe Kommentar.

3 Comments

  1. Tja, so schnell endet eine Diskussion auf Quo vadis, Dresden?, dem „Forum für Stadtentwicklung und Kommunalpolitik“ auch wieder. Obwohl dies doch als Möglichkeit zum Gedankenaustausch geschaffen wurde und Gedanken und Anregungen von uns lieben Lesern als wichtig und wertvoll betrachtet werden.

    E.Z. hat also meinen letzten Kommentar dort auf gefühlte 5% gekürzt. Das ist nicht weiter schlimm, denn es hätte ohnehin nichts gebracht. Und E.Z. hat sogar Recht, wenn er meint, man solle seinen Schwerpunkt auf neue (!) Fakten, Argumente und Sichtweisen legen. Allerdings hat er das ja vorher selbst auch nicht getan, sondern er fing mit alten Kamellen an, die er auch noch einseitig dargestellte.

    Ist es kindisch, den (vorsichtshalber gespeicherten) Text nun hier zu bringen? Irgendwie schon. Denn das Thema ist sowieso abgeschlossen und wurde bereits endlos durchgekaut.

    Aber ich habe einen Teil meiner Mittagspause für die Tipperei geopfert! Diese Kommentarschreiberei kostet auch Zeit. Deshalb also doch noch das Ende meiner soeben begonnenen Konversation mit Eduard Zetera:

    @ E.Z.
    Wir laufen nun Gefahr, die gesamte Geschichte wieder von vorn durch zu nehmen. Dazu habe ich eigentlich wenig Lust, denn dieser schönen Freizeitbeschäftigung widmete ich mich mit einigen Anderen bereits seit Jahren im Forum der DNN und sehe mittlerweile nur noch wenig Sinn darin. Deshalb werde ich das hier nicht neu starten. Der Hauptthread bei der DNN zu dem Thema wurde zwar etwas drastisch benannt (ich hätte es anders genannt), enthält aber nun schon über 9000 Einträge. Momentan laufen dort fast nur noch thematische Wiederkäuereien, aber Ihren Texten haben wir auch etwas Raum gewidmet (mangels Kommentarfunktion auf elbtunnel-dresden).

    Neu ist das alles auch für Sie nicht. Bereits im Juli 2008 haben wir die Frage, ob die UNESCO nun informiert war oder nicht , komplett auseinandergedröselt. Mit dem Thema sind wir eigentlich durch

    „Wir“ haben da nichts auseinanderdröseln können. Dieser Text ist klar einseitig und ließ sich ja dort nicht korrigierend kommentieren. Deshalb verteilt sich die Kritik nun auch mit über die 9000 Foren-Einträge. Dieser Text ist grundsätzlich so angelegt, dass die Überschrift verneint werden soll. Dabei war UNESCO eindeutig informiert. Ich habe mir den WKE-Antrag selbst einmal vorgenommen, weil ich wissen wollte: Stands nun drin oder nicht? Und ich habe zum Suchen nicht die pdf-Suchfunktion verwendet, sondern wie bei einem Papierdokument im Inhaltsverzeichnis nachgesehen: Wo könnte ein Brückenbau erwähnt werden? Mit der Methode wurde ich schnell fündig. Offensichtlich auch Herr Jokiletoh. Sonst hätte er es bestimmt nicht in seinem Gutachten erwähnt. Jaja, am falschen Platz, aber das dürfte bei der UNESCO-Tagung dann gar keine Rolle gespielt haben . Schön ist natürlich auch die von Ihnen zitierte Aussage Jokiletohs

    Ich habe mir den Brückenstandort vom Raddampfer aus angesehen, auch Visualisierungen des Brückenbauprojektes und die Zielsetzung des Brückenwettbewerbs von 1997 zur Kenntnis genommen, eine Brücke zu bauen, die an dieser Stelle diese herrliche Flusslandschaft so wenig wie möglich beeinträchtigt. Detaillierte Planungsunterlagen aus dem Planfeststellungsverfahren wurden mir damals jedoch nicht vorgelegt.“

    Halten wir mal fest: Er hat den Standort gesehen (und ich wüsste nicht, welche Methode besser geeignet wäre, jemandem das Elbtal zu zeigen, als vom Dampfer aus), er hat Visualisierungen gesehen und die Zielsetzung des Brückenwettbewerbs kennengelernt – ja, was denn noch? Sollte das für einen erfahrenen Gutachter nicht langsam reichen, um sich ein Bild zu machen? Er hatte übrigens auch Kontakte zu Brückengegnern. Wozu, um Himmels willen, benötigt man noch die detailliertesten Kleinigkeiten aus dem Planfeststellungsverfahren? Musste er die Schraubengröße für Kabelbefestigungen kennen? Und hätte er dann nicht einfach fragen können?

    Das waren doch alles nur nachträglich erfundene Begründungen.

    Sie haben doch nicht etwa die denkwürdigen Sprüche vom Welterbe, das verzichtbar sei, vergessen?

    Das ist ein Satz, der im Verlauf dieser Geschichte erst relativ spät geäußert wurde – zu einer Zeit als der kommende Titelverlust eigentlich schon absehbar war.

    Oder das Schreiben, in welchem dem Welterbezentrum die Demokratie erklärt wird?

    Dass der Angelegenheit ein Bürgerentscheid vorausging, ist nun mal ein Fakt. Und an diesen demokratischen Vorgang und sein Ergebnis müssen sich die Volksvertreter dann auch halten. Die UNESCO verlangte quasi, sich über diese demokratische Entscheidung hinweg zu setzen.

    Dass Prof. Burger um einen Kompromiss bemüht war, mag ich nicht bestreiten. Sie sollten aber dazu sagen, dass es selbst dem gewogenen Auge schwer fällt, da überhaupt einen Unterschied zu erkennen. Da war die Kompromissbereitschaft wohl arg schnell erschöpft. Und Sie sollten bitte auch erwähnen, dass die Brücke jetzt doch (ganz unverburgert) mit normalen Straßenlampen und mit Treppenaufgängen gebaut wird.

    Dass sich die Unterschiede in Grenzen hielten, bestreite ich gar nicht. Aber andererseits – wenn die Unterschiede so gering sind – warum ist es dann so schrecklich, dass nun die alte Variante gebaut wird? Beispielsweise gibt es nun keinen Grund mehr, auf solch praktische Dinge wie Fußgängertreppen zu verzichten.

    Wer nur will, konnte sich längst an den Gedanken gewöhnen, dass der Elbtunnel tatsächlich eine Alternative ist

    Denken und vorstellen kann man sich vieles. Aber zwischen einem Gedanken und einem planfestgestellten Projekt liegen gewaltige Unterschiede.

    Was seinerzeit blieb, war der vorgeblich höhere Flächenverbrauch in der Elbe beim Tunnelbau – welcher in das Argument, der Elbtunnel sei aus naturschutzrechtlichen Gründen nicht genehmigungsfähig, umgedeutet wurde.

    Was wurde da umgedeutet? Es gibt keinerlei ausreichend konkrete Tunnel-Planungen, die so weit fortgeschritten sind, dass man die Notwendigkeit eines Kanals für die notwendige Elbumleitung ausschließen kann. Dieses kleine Detail (die Elbe hätte großflächig umgeleitet werden müssen) wurde von Tunnelbefürwortern lange verschwiegen und dann kleingeredet.

    Seit dem Planergänzungsverfahren wissen wir, dass es gerade anders herum ist: Der Brückenbau braucht mehr Fläche.

    Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, der abzubaggernde Uferschlamm würde mehr Fläche einnehmen als der Kanal und das ebenfalls nur ungern erwähnte Dock zur Produktion der Tunnelteile?

    Darum sind wir jetzt gespannt darauf, wie sich die Brückenfreunde aus der selbst erschaffenen juristischen Sackgasse herauswinden. Und von den Mehrkosten für einen Tunnel höre ich seit den Kostensteigerungen beim Brückenbau auch nicht mehr so viel.

    Welche Sackgasse? Das wird schon geklärt. Dass man von Mehrkosten für einen Tunnel nichts mehr hört ist auch klar: Seit der Titel weg ist, steht fest, dass er nie gebaut wird.

  2. Hallo FrankN,

    Ihr Disput mit E.Z . hat outstandig universal value. Habe ich gestern schon im DNN-Forum hinterlassen. Aber die Quarantänezeiten werden dort immer länger und das nervt. Eine richtige Diskussion scheint nicht erwünscht zu sein, also wird das Forum offenbar mittels Moderation eingeschläfert.

    Da muß man schon eine Sylviamäßige Kondition haben, um daran noch Gefallen zu finden. Apropos Sylvia – ich würde gerne über eine Tunnel abstimmen – wo kann man die Planfeststellungsunterlagen einsehen ? Dienstags und Samstags bin ich immer auf dem Schillerplatz-Markt. (der Fischfritze wird begeistert sein, daß er jetzt ein Messer im Rücke hat) Da wäre es doch naheliegen mal bei Prof. Weber um die Ecke anzuläuten und um leihweise Überlassung besagter Unterlagen zu bitten.

  3. Ach ja … die Wartezeiten im Forum! Das ist wirklich einmalig. Ich kenne wirklich kein moderiertes Forum, welches derart langsam ist. Das einzig Positive daran ist, dass man sich in Ruhe alle Details der Argumentation usw. durchdenken und notfalls tagelang optimieren kann. Momentan haben wir ja schon wieder 2 Tage Verzug, und dabei habe ich Silvia so eine schöne Antwort geschrieben.

    Ich hatte schon mehrfach überlegt, alle Anwesenden einzuladen, irgendwo anders hin umzuziehen. Aber wohin? Hier gibt es noch ein Forum zu Dresden, aber da scheint Streit unerwünscht zu sein, und das macht ja dann auch irgendwie keinen Spass. Und etwas anderes ist mir nicht untergekommen. Bei „Quo vadis …“ scheint man zumindest nur an politisch korrektem „ich gebe Ihnen Recht“-Gedankenaustausch interessiert zu sien.

    Wohnt Weber dort? Wieder was gelernt. Ich habe übrigens mal in der Nähe vom Schillerplatz – im Laden „Jaques Weindepot“ – Herrn Prof. Burger gesehen. Ich habe das aber lieber nicht im Forum erwähnt, sonst wäre noch das Argument „Brückenbefürworter trinken“ daraus entstanden.

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